Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Engelslied

Engelslied

Titel: Engelslied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nalini Singh
Vom Netzwerk:
Tragödie, die die Stadt heimgesucht hatte, nicht unbedingt das Wichtigste zu sein. Aber wenn es die Mär von einem Manhattan zu unterstreichen half, das die Schrecken dieser grauenhaften Minuten halbwegs unbeschadet überstanden hatte, dann würde Elena eben Vampire jagen.
    Sie wusste, dass die Engelswelt insgesamt immer noch sehr von ihr fasziniert war. Sie war seit Menschengedenken die erste Engelsfrau, die erschaffen
worden war und die trotzdem weiterhin jagte, wie sie es auch schon als Mensch getan hatte. Illium zufolge ließen sich einige Engel keinen Pressebericht über Raphaels Gemahlin entgehen. Für Menschen und Vampire galt dies erst recht. Warum sollte sie ihren Bekanntheitsgrad nicht zum Wohl der Stadt nutzen?
    Raphael hatte ihr inzwischen den Morgenmantel vom Leib gestreichelt, bis sie nackt vor ihm stand, ihre Haut war überall dort, wo er sie berührt hatte, heiß und glühend. »Du musst dich ausruhen!«, wehrte sie ab, obwohl sie nichts lieber wollte, als ihn zu fühlen und zu schmecken, so, wie er war, nackt und unverstellt. »Du hast deine neue Kraft in der Krankenabteilung bis an die Grenzen belastet.«
    Als Antwort nahm sein Mund ihre Lippen in Besitz und damit gleich auch alles, was ihr gehörte. »Der Körper erholt sich nicht nur in der Ruhe«, sagte er, indem er sie gegen die Wand drängte.
    Als er sie hochhob, schlang Elena laut aufstöhnend die Beine um seine Taille, öffnete sich ihm weit.
    Er war hart und fordernd in dieser Nacht, ihr Erzengel, denn in seinem Blut brodelte der Zorn über den Angriff auf seine Stadt, aber Elena war beileibe kein zerbrechliches Vögelchen. Leidenschaftlich erwiderte sie seine stürmischen Küsse, empfing sie seine ungebändigten Stöße und sehnte sich nach mehr, bis es keine Gedanken mehr gab, nur noch den allerschönsten Feuersturm der Gefühle.
    Eigentlich hatte Raphael Elena nur noch eine Weile in den Armen halten wollen, dort auf dem dicken Teppich vor dem Kamin im Arbeitszimmer, auf den sie mit ineinander verschlungenen Körpern und Flügeln gesunken waren. Aber anscheinend war er wohl doch erschöpfter gewesen, als er angenommen hatte, denn irgendwann war ihm, als sei er nicht mehr wach, sondern träume. Sein Traum hatte ihn auf das verwaiste Feld geschickt, auf dem Caliane ihn damals allein zurückgelassen hatte. Vor mehr als tausend Jahren, ganz am Anfang seiner Existenz, als er noch ein Junge gewesen war.
    Allerdings einer, der erwogen hatte, seine Mutter zu töten, ehe sie vollends zu einem Monster mutierte. Denn seine Mutter hatte damals bereits den Tod zweier blühender Städte zu verantworten gehabt, Städte, in denen die Erwachsenen ertrunken und die Kinder so schwer verletzt worden waren, dass selbst Keir, ihr fähigster Heiler, nichts mehr für sie tun konnte. Bis heute betrat kein Unsterblicher die Ruinen dieser Städte. Zu durchdringend war das Schweigen dort, eine aus dem Leid Tausender Seelen entstandene Stille, die schmerzte wie ein eisiger Wind. Stille, die Raphael in seinem ganzen Leben nicht vergessen würde.
    Jetzt fand er sich in dieser Stille wieder. Auf dem Feld herrschte eine Ruhe, die schwer war vom Echo der Erinnerungen. Er sah Blut auf dem Gras, sah die scharlachrote Flüssigkeit, die aus ihm herausgeflossen war, während er zerschlagen und halb tot unter einem blauen, kristallklaren Himmel lag, dessen Anblick fast weh tat. Nur lag er jetzt nicht mit dem Gesicht nach unten im Gras wie damals, die Flügel zerbrochen und unnütz, nur eine Last auf seinem geschundenen Leib. Eigentlich lag er auch gar nicht, nein: Er stand fest auf beiden Beinen, und er war ein Mann, ein Erzengel, nicht der zu Tode verschreckte und doch entschlossene Junge, der er damals gewesen war, der Junge, dem man das Herz gebrochen hatte.
    Er ballte die Hände zu Fäusten, als ginge es gleich in die Schlacht, trat vor … und lief in eine Mauer aus flüsternden Stimmen. Hunderte von Stimmen, jede einzelne rau und heiser, als sei sie lange nicht benutzt worden, die Worte ineinander verwoben und unverständlich. Die Stimmen schienen von allen Seiten gleichzeitig zu kommen, aber als er sich in diesen unglaublichen Himmel aus blauer, schneidender Klarheit schwang, sah er unter sich nur die knorrigen Stämme und Äste der uralten Bäume, die das Feld säumten und dort bestimmt die ganze Ewigkeit hindurch schon gestanden hatten, so alt wie sie aussahen.
    Und immer noch flüsterten und wisperten die Stimmen, kamen in Wellen auf ihn zu, drückten gegen ihn,

Weitere Kostenlose Bücher