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Engelslied

Engelslied

Titel: Engelslied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nalini Singh
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und als wenig später ein Hubschrauber das Haus überflog, ging der kleine Zeitabschnitt, der nur ihnen beiden gehörte, zu Ende. Immer noch wortlos gaben sie einander frei. Jeffrey ging zum Schreibtisch, um sich seine Brille wieder aufzusetzen, und Elena zog sich rückwärts aus dem Fenster zurück. Draußen angekommen, bog sie um eine Hausecke, biss die Zähne zusammen und legte einen Senkrechtstart hoch zu Eves Fenster hin.
    Ihre Schwester, um deren linkes Auge sich die Haut inzwischen lila gefärbt hatte, wartete schon auf sie und kam ohne zu zögern in ihre Arme. Im Zimmer nebenan drückte eine blasse Amy zum Abschied die Hand ans Fensterglas.
Mach dir keine Sorgen, ich bringe sie zurück!,
hätte Elena ihr am liebsten zugerufen. Etwas anderes würde Gwendolyn nie zulassen. Es galt nur, Jeffrey von Eve fernzuhalten, bis ihre Mutter wieder in der Stadt war. Jeffrey würde nie rational denken und handeln können, wenn es um Jäger und die Jagd ging, was Elena nun endlich verstanden hatte. Er konnte in dieser Frage nicht rational sein. Er war zu jung gewesen, als er Zeuge des brutalen Mordes wurde, die Narben waren zu alt.
    Elena schmerzte nach all dem Erlebten noch immer die Brust, aber sie konzentrierte sich darauf, langsam und mit gleichmäßigen Flügelschlägen auf die Enklave zuzufliegen, als plötzlich unerwartet hell etwas Blaues in ihrem Blickfeld auftauchte. »Ellie? Welch wunderschöne Maid hältst du da in den Armen?« Vergnügt zwinkerte der Blaugeflügelte Eve zu. »Hallo, Abendstern!«
    Eve kannte Illium, sie hatte ihn bei einem ihrer Turmbesuche kennengelernt. Sie streckte ihm die Zunge heraus, wechselte aber folgsam in seine Arme, als er es ihr anbot. »Ich bin zu schwer für dich!«, sagte sie, als Elena protestieren wollte.
    »Du bist leicht wie eine Feder«, sagte Illium, der Eves kräftigen kleinen Körper in den Armen barg, als wöge er nichts. »Aber Elena ist noch nicht stark genug, um andere über lange Strecken zu tragen. Ich dagegen kann das wunderbar.« Und mit diesen Worten schoss er hoch in die Luft, begleitet von Eves Jubelschreien.
    Beim Klang dieser Schreie verschloss Elena die Tür hinter all den Fragen, die ihr im Kopf umherschwirrten. Die mussten warten, denn erst einmal galt es, Zukunft und geistige Gesundheit ihrer kleinen Schwester sicherzustellen. Geruhsam flog sie weiter Richtung Enklave. Illium würde Eve schon zu ihr bringen und unterwegs dafür sorgen, dass der Schwester am Himmel Hören und Sehen verging und sie den Stress der letzten Stunden vergaß.
    Im Haus angekommen, traf sie Montgomery in der Küche an, wo er mit Sivya das Abendmenü besprach. »Es tut mir leid, wenn ich stören muss«, sagte sie, »aber Eve wird heute Nacht hier schlafen und vielleicht auch noch morgen bleiben. Könnten Sie ihr ein Zimmer herrichten?«
    »Natürlich, Gildejägerin.« Der Vampir sah sie fragend an. »Ist alles in Ordnung?«
    Diese Frage galt ihrem eigenen Wohlergehen ebenso wie dem ihrer Schwester, das war Elena durchaus bewusst. Aber noch mochte sie nicht darüber nachdenken, wie es ihr ging. »Kekse oder ein bisschen Kuchen könnten wahrscheinlich nicht schaden«, sagte sie stattdessen.
    »Ich werde dafür sorgen, dass Miss Evelyn alles hat, was sie braucht.«
    »Vielen Dank.« Erleichtert überließ Elena die organisatorischen Fragen dem Butler, erledigte einen wichtigen Anruf und war gerade wieder vor das Haus getreten, als Illium landete. Die Sonne brachte seine Flügel zum Glühen, das vom Wind wild zerzauste Haar stand in alle Richtungen ab, und sein Lächeln war so offen wie sein Blick golden.
    Ein wunderbarer Anblick – noch dazu einer, der einem nicht jeden Tag geboten wurde.
    Seit jenem Abend im Blutcafé wusste sie, welche Trauer hinter Illiums verspielter Persönlichkeit lauerte, welche Schatten auf seiner Seele lagen. So wie bei ihrem Vater, hinter dessen Zorn ein schrecklicher Verlust stand.
    Hatte Marguerite es gewusst?
    Ja.
Sie war Jeffreys Liebste gewesen, sein Herzschlag, seine Vertraute in absolut allen Fragen. Und doch hatte sie ihn allein gelassen, als er sich mit einer Wiederholung des Albtraums seiner Kindheit konfrontiert sah, war gegangen. Was sie getan hatte …
    Elena klopfte sich leicht mit der Faust auf die Brust über ihrem Herzen. Sie durfte jetzt nicht über all das nachdenken, sie musste lächeln, ihre Schwester begrüßen, die mit roten Wangen auf sie zugestürmt kam, die Haare mindestens ebenso zerzaust wie die von Illium. Ihre Schwester war

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