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Engelslied

Engelslied

Titel: Engelslied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nalini Singh
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der Meinung war, er sei zu gut, um vor seinem Herrn und Meister zu katzbuckeln.
    Daran war an sich nichts Besonderes. Allzu oft ließen sich Leute von dem Gedanken an Unsterblichkeit und der damit oft einhergehenden Schönheit verführen. Sie standen scharenweise Schlange, um erschaffen zu werden, und fanden hinterher die harte Realität schwer zu ertragen. Hundert Jahre im Dienst von Engeln waren eben nicht jedermanns Sache. Sidney Geisman, der Vampir, den Elena zurückholen sollte, war allerdings noch einen Schritt weiter gegangen. Statt nur über sein Schicksal zu murren, hatte er eine Broschüre verfasst, in der er ebendieses Schicksal als »Sklavendasein« bezeichnete und sich beklagte, er sei durch Betrügereien zur Transformation verleitet worden. Diese Broschüre hatte unter anderen jungen Vampiren für erhebliche Unruhe gesorgt.
    Sidneys Engel war mehr als gekränkt, das verstand sich wohl von selbst. Die Bestrafung des Abtrünnigen würde nicht milde ausfallen, galt es doch auch, ein Exempel zu statuieren, damit nicht noch andere seinen Lügen glaubten. Elena hatte Mitleid mit dem jungen Vampir, was sie allerdings nicht daran hindern würde, ihre Arbeit als Jägerin zu erledigen. Denn was Sidney auch geschrieben haben mochte: Man hatte ihn nicht betrogen und auch nicht verführt.
    Die Engel machten kein Geheimnis aus den Folgen der Transformation. Jeder wusste, was von einem Erschaffenen erwartet wurde. Verschleierungstaktiken waren in diesem Fall wirklich nicht nötig, die Liste der willigen Kandidaten war zu jeder Zeit lang genug. Und für den Fall, dass ein Kandidat im Eifer des Gefechts doch noch vergessen haben sollte, was eigentlich Teil des Allgemeinwissens war, wurde jedem, der die ersten Tests erfolgreich überstanden hatte und als ernsthafter Kandidat infrage kam, ein Ordner mit verschiedenen Unterlagen vorgelegt. Die hatte er durchzulesen und ihre Kenntnisnahme mit seiner Unterschrift zu bestätigen. Das Werk trug den recht harmlosen Titel »Aufnahme und Orientierung«, enthielt aber noch einmal alle im Zusammenhang mit der Erschaffung eines Vampirs relevanten Informationen. Und wem nicht gefiel, was er dort las, der durfte gern wieder gehen, ohne erschaffen worden zu sein, ihm wurden da keine Steine in den Weg gelegt.
    Als Gemahlin eines Erzengels hatte Elena einen solchen Ordner einsehen dürfen: Dort ging es ziemlich direkt zur Sache, und was das Verhältnis des neu erschaffenen Vampirs zu seinem Engel betraf, wurde nicht mit Details und drastischen Bildern gespart. Die Strafen, die einen Vampir erwarteten, dessen Dienstauffassung nicht der seines Engels entsprach, waren nicht ohne. Mitten im Ordner befand sich ein vierseitiger Aufsatz über einen Fall, bei dem eine ziemlich grausame öffentlich vollzogene Strafe verhängt worden war: Raphael hatte den betreffenden Vampir mitten auf dem Times Square liegen lassen, nachdem er ihm jeden einzelnen Knochen im Leib gebrochen hatte.
    Verrat wird nicht geduldet –
lautete die Überschrift des Artikels.
    Sidney Geisman, dachte Elena, als sie ein wenig südlich vom Turm auf dem Dach eines Wolkenkratzers landete, hatte sich auf etwas eingelassen, das er jetzt bereute. Pech für ihn. Das Geschenk der beinah erreichten Unsterblichkeit ließ sich nicht zurückgeben, es blieb einem nichts anderes übrig, als den Preis dafür zu bezahlen. Wobei Elena noch nicht einmal glaubte, dass Sidney wirklich auf die Unsterblichkeit verzichten wollte – in der Frage war sie, wie viele Jägerkollegen, zur Zynikerin geworden. Zu viele Leute wollten zu gern das Unmögliche möglich machen und A sagen, ohne B sagen zu müssen.
    Sie klopfte an die Tür der Atriumswohnung hoch oben auf dem Dach. Die Tür glitt zur Seite, vor ihr stand ein schlanker Vampir in einer braunen Tunika mit goldbesticktem Stehkragen, über einer ebenfalls braunen Hose. »Gildejägerin«, begrüßte er sie höflich, um sich gleich darauf zu verbessern: »Meine tief empfundene Entschuldigung! ›Gemahlin‹, hätte ich natürlich sagen müssen.«
    »Nein, Gildejägerin ist völlig in Ordnung.« Das ewig höfliche, ehrerbietige Getue machte Elena ganz kribbelig, aber es gehörte nun einmal dazu, seitdem sie mit Raphael zusammen war. Und da sie an dieser
Tatsache wirklich nichts zu ändern gedachte, würde sie sich wohl daran gewöhnen müssen. »Hast du, was ich brauche?«
    »Ja.« Er trat zu einem Tisch in Türnähe und entnahm einer flachen, schwarzen Schachtel ein fein säuberlich

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