Engelslied
aber leider gab es ja immer Sonderfälle. Sonderfälle und Sterbliche: Wenn sie einer Horde zugedröhnter Junkies in die Hände fiel, die ihr das Herz aus dem Leib rissen oder innere Organe schwer verletzten, dann würde sie sterben, denn ihre Unsterblichkeit war noch keine ehern festgeschriebene Sache. Dazu kam noch das Risiko feindlicher Agenten, die vielleicht nur darauf warteten, die Gemahlin des hiesigen Erzengels als Zielscheibe präsentiert zu bekommen.
Alles in allem wäre eine Landung unter diesen Umständen nicht das Klügste, was Elena tun konnte, da musste sie ihrem Kopf schon recht geben.
So schwebte sie über den Bäumen des Parks – Aodhans Übungen hatten sich als sehr nützlich erwiesen – und überdachte ihre Optionen. Sie brauchte Hilfe. Das würde die Gilde übernehmen müssen, im Turm hatten alle ohnehin mehr als genug um die Ohren. »Ich brauche Rückendeckung, kannst du mir jemanden schicken?«, erkundigte sie sich bei Sara. »Ich bin im Central Park.«
»Eine Sekunde.« Es raschelte, im Telefon wurde es kurz still. Dann meldete sich Sara wieder. »Deacon ist in der Gegend mit Slayer unterwegs. Er hat eine Armbrust dabei. Warum mein Liebster seine Armbrust mit auf den Hundespaziergang nimmt? Weil er gar nicht weiß, wie man sein trautes Heim verlässt, ohne bis an die Zähne bewaffnet zu sein.«
Elena lachte. Saras liebevolle Worte hatten endlich den grausamen Glanz der Bilder gedämpft, die ihr seit Jeffreys Enthüllungen im Kopf herumspukten. »Deacon ist prima, den würde ich nie ablehnen.« Obwohl Saras Ehemann offiziell nicht mehr Mitglied der Gilde war, war er doch nach wie vor einer der Ihren, was jeder in der Stadt auch wusste. »Moment! Was ist mit Zoe?«
»Ist bei meinen Eltern, die in die Stadt gekommen sind, um ihr Enkelkind nach Strich und Faden zu verwöhnen.« Das Lächeln in Saras Stimme war nicht zu überhören. »Deacon gehört dir also, solange du ihn brauchst.«
»Danke. Dann rufe ich ihn an und mache einen Treffpunkt aus.«
Knapp zwei Minuten später landete sie nicht weit von ihrem eigentlichen Ziel entfernt neben dem großen, muskelbepackten Deacon. »Ich weiß deine Hilfe sehr zu schätzen«, empfing sie ihn, während sie den großen schwarzen Hund begrüßte, der ebenfalls mit von der Partie war. Slayer war Zoes bester Freund.
»Kein Problem.« Ruhige grüne Augen, denen so schnell nichts entging, auch wenn Deacon sich ganz entspannt gab und Slayer sich an sein rechtes Bein gelehnt hatte. »Wohin soll es gehen?«
»Bluttheater.« Dieser Teil des Parks war tagsüber nichts Besonderes, verwandelte sich des Nachts jedoch in eine zentrale Begegnungsstätte sexhungriger Vampire. Sterbliche, die nicht vorhatten, als gut durchgevögelte Abendmahlzeit zu fungieren, blieben dem Ort nach Dunkelwerden lieber fern.
Deacon nahm sich die Armbrust vom Rücken. »Solide Hardware – immer noch die beste Abschreckung.« Kaum lag die Armbrust in seinen Händen, da hatte sich Slayer auch schon von einem schwanzwedelnden Haushund in eine stumme Bedrohung verwandelt.
»Aber ja!« Elena zog die langen Messer aus den Scheiden an ihren Schenkeln und sorgte dafür, dass die glitzernden Klingen gut zu sehen waren. »Ich will wirklich kein Blut vergießen, aber ein paar von den Jungspunden sind echte Schwachköpfe.«
Die beiden machten sich auf den Weg, Deacon mit einem Lächeln auf den Lippen. Schweigend folgten sie einem schmalen Pfad, der sie direkt zum Theater führen würde. Hier lag Schnee, wahrscheinlich noch aus der vergangenen Nacht, denn den letzten Neuschnee hatte es kurz vor Sonnenaufgang gegeben, und die dünne weiße Schicht hier war stark geschmolzen. Um diese Tageszeit würde das Theater noch leer sein, aber wenn Elenas Instinkte sie richtig geleitet hatten und Sidney hier einen Auftritt hingelegt hatte, würde sie unter Umständen seine Spur aufnehmen können.
Wahrscheinlich waren Deacon, sie und Slayer in diesem Teil des Parks allein unterwegs, doch Elena blieb trotzdem wachsam und sah zu, dass ihr nicht das leiseste Rascheln entging. Auffallend waren in diesem Fall allerdings nicht Geräusche, sondern die fast vollkommene Stille. »Keine Vögel«, flüsterte sie.
»Stimmt.« Von diesem Moment an schoben die beiden sich Rücken an Rücken seitwärts den Pfad entlang, Elenas Flügel an Deacons grünen Trenchcoat gedrückt, während Slayer lautlos und gefährlich vor ihnen hertrabte.
Die Waffen im Anschlag bogen sie vom Hauptweg rechts in einen Seitenweg ab, der
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