Engelslied
ihnen reden?«
»So hätten wir es gehandhabt, ehe du kamst. Jetzt habe ich eine Gemahlin, die mit meiner Stimme spricht.«
Elena wirkte plötzlich sehr ernst, der Ring aus Silber um ihre Iris glitzerte im Wintersonnenlicht. »Ich werde dich nicht enttäuschen.«
»Das weiß ich.«
Zehn Minuten später sah er zu, wie sie mit Illium in den Himmel aufstieg.
Sieh zu, dass ihr nichts zustößt.
Ich werde sie mit meiner Klinge und mit meinem Leben schützen.
Noch ein letzter Blick auf die Mitternachts- und Morgengrauenfärbung von Elenas Schwingen, dann setzte sich Raphael ans Telefon. Illium war stark, er würde Elena beschützen. Auf sein Versprechen konnte er sich getrost verlassen. Für ihn wurde es Zeit, dafür zu sorgen, dass sein Stellvertreter nach New York zurückkehrte.
Raphael verbrachte den Rest des Tages mit dem Transfer seiner wichtigsten Vampire und Engel in die Stadt, während Aodhan sich um die Tagesgeschäfte des Turms kümmerte und Dmitri sich aus dem ihm und Honor von Raphael zur Verfügung gestellten Jet dazuschaltete, um mit seinen Vertrauten die ihnen maximal erlaubten Waffenreserven durchzugehen. Der nächste Schritt würde darin bestehen, auf einigen Dächern der Stadt Geschosse zur Verteidigung gegen geflügelte Angriffe aufzubauen.
»Das machen wir nachts, wenn die letzten Nachtschwärmer von den Straßen und die ersten Frühaufsteher noch zu Hause sind«, sagte Illium, der neben Raphael hoch oben auf dem Turm stand, in seinem Rücken die Lichter des nächtlichen Manhattans. »Es ist besser, wenn die Gewehre plötzlich da sind und kein Gaffer mitbekommen und in die Welt hinausposaunen kann, welche Anstrengungen wir da gerade unternehmen.«
»Ich stimme dir zu.« Raphaels Stadt schlief eigentlich nie, aber die Dämmerstunden waren die ruhigsten. »Hast du genügend Leute, um das in der kurzen Zeitspanne erledigen zu können?«
»Ja. Jetzt, da Dmitri wieder da ist und die Turmgeschäfte übernommen hat, kann ja auch Aodhan helfen.« Ein Blick aus goldenen, von dicken schwarzen Wimpern mit einem Hauch Blau darin beschatteten Augen. »Sire, Sie dürfen nicht dabei sein.«
Raphael zog eine Braue hoch, aber Illium gab nicht nach. »Mal abgesehen von dem, was unser Feind davon hält, würde die Moral unserer Truppen leiden, wenn unser Erzengel bei so gewöhnlichen Tätigkeiten mithilft.«
Raphael wusste ja, dass Illium recht hatte. »Dann ist es dein Job«, verkündete er, ehe er die nächsten Stunden damit verbrachte, eine auf Nachtmanöver spezialisierte Schwadron zu trainieren, wonach er nach Hause flog.
Seine Gemahlin war in ihrem Privatzimmer, wo sie ihre Waffen reinigte. Und zwar so konzentriert, dass er genau wusste, sie sah die todbringenden Gegenstände eigentlich gar nicht. Er nahm ihr gegenüber Platz und goss sich aus einer Karaffe aus geschliffenem Kristall ein Glas Whiskey ein. Diese Karaffe hielt Elena stets für ihn gefüllt bereit, was ihre Art war, ihm zu zeigen, dass er ihr auch in ihren privatesten Räumen willkommen war. »Illium sagte, du hättest die Vampirführer mit deinem Charme völlig um den Finger gewickelt.« Was immer Elena getan oder gesagt haben mochte, die Wirkung war unmittelbar zu spüren: Die Stadt war ruhiger geworden, und die Vampire verhielten sich mustergültig.
Sie schnaubte. »Illium war der mit dem Charme. Ich habe über das Geschäftliche geredet – bei den Vampirführern geht es immer ums Geschäft, und wild umherschweifende Vampire sind schlecht dafür. Auf die Art kamen wir alle prima miteinander klar.« Brauen zuckten, graue Augen blitzten belustigt auf. »Kann sein, dass du in meinen Unterredungen sehr höflich und sehr Angst einflößend mitgewirkt hast. Jedenfalls haben sie alle verstanden, wie enttäuscht du sein würdest, wenn sie versagen.«
Raphael genehmigte sich lächelnd einen Schluck Alkohol. »Gildejägerin, du erweist dich als sehr effiziente Gemahlin.«
»Vergiss das bloß nicht!« Ein spitzer Dolch richtete sich kurz auf den Erzengel, dann machte sich Elena wieder an die Arbeit.
»Liegen dir die Enthüllungen deines Vaters immer noch so im Magen?«
Elena nickte. »Du warst nicht zu Hause, als ich heimkam, ich hatte also ein bisschen Zeit. Die habe ich genutzt, um mich von hier aus ins Informationsnetzwerk des Turms einzuloggen.«
»Und hast du deine Großmutter gefunden?«
»Ja. Die Fakten waren auch gar nicht versteckt, ich hatte nur nie nach ihnen gesucht.« Elenas Finger schlossen sich fester um ihren Dolch,
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