Engelslied
sie das Zimmer durch die Balkontür, um zu einem makellosen Start in den mitternachtsdunklen Himmel anzusetzen. Kurz darauf schloss sich ihr ein jüngerer Engel an.
»Sie findet mich lächerlich«, stellte Elena mit zusammengekniffenen Augen fest, »und glaubt, dass du früher oder später wieder von ihr angezogen wirst.«
»Glaubst du das auch, Gildejägerin?
»Ich glaube, wenn diese Tasha hier lange genug herumschnüffelt, könnte ich sauer genug werden, um ihr einen Flügel abzuschneiden – natürlich immer mit einem zuckersüßen Lächeln im Gesicht.«
»Natürlich.« Er öffnete die Arme, und sie begab sich ohne Zögern hinein. »Meine wunderschöne, wilde, blutdurstige Elena«, flüsterte er. »Erzähl mir mehr von samtenen Pfeilen, ich finde das sehr spannend.«
Elena musste lachen. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen, um den lächelnden Mund ihres Gatten zu küssen. Kein Blutsturm, keine Tasha, keine Waffe würde das Band zwischen ihr und ihrem Erzengel je durchtrennen können.
Die Welt lag noch ins trübe Dunkel der frühen Morgenstunden gehüllt, als Raphael hinauf in seine Turmsuite ging. Er war nicht müde, sehnte sich aber nach der Berührung seiner Gemahlin, die er seit ihrem Kuss vorhin hatte missen müssen. Er brauchte mehr, musste sich ganz in Elenas Wärme versenken, ihr Leben spüren, denn ein Teil von ihm war noch wund von der eisigen Kraft, die versucht hatte, seinen Körper zu durchdringen.
Raphael hätte dieses Verlangen nach seiner Frau ganz sicher unterdrückt, wäre ihm nicht aus allen Teilen seines Territoriums die erfolgreiche Eindämmung der Wiedergeboreneninvasion gemeldet worden. Seine leitenden Engel blieben zwar weiterhin auf der Hut, gingen aber erst einmal davon aus, dass auf diesem Gebiet Ruhe herrschte. Auch in Manhattan war es friedlich geworden und jetzt, da sich drei seiner Sieben im Turm aufhielten, konnte er sicher sein, dass sich dort nichts unbemerkt durch irgendwelche Ritzen schieben würde, wenn er sich mal auf eine Stunde wegstahl. Momentan hatte Aodhan das Sagen in der Kommandozentrale, die inzwischen auch als Kriegsplanungszentrum diente, wobei Illium ihm zur Seite stand.
Elena schlief auf ihrer linken Seite, das Gesicht der Bettmitte zugewandt. Er zog sich leise aus und schlüpfte zu ihr unter die Decke, um sie an sich zu ziehen. Daraufhin warf sie ihm seufzend das rechte Bein über die Hüfte, so unbewusst besitzergreifend, dass ihm das Herz dahinschmolz. Danach rührte sie sich nicht mehr. Er streichelte die seidige Haut über ihren geschmeidigen Muskeln und malte sich aus, wie er sie am köstlichsten wecken könnte, als es an die Tür seines Bewusstseins klopfte.
Sire.
Ohne dass Elena wach geworden wäre, war Raphael aus dem Bett geschlüpft, hatte sich eine schwarze Hose angezogen und war auf den Balkon vor seinem Schlafzimmer getreten. Dort wartete sein Meisterspion im Halbschatten, die mitternachtsdunklen Schwingen eng auf dem Rücken zusammengefaltet.
»Ich hatte dich erst morgen erwartet.« Raphael schob die Glastür des Balkons leise hinter sich zu, um die beißende Kälte nicht ins Zimmer zu lassen, denn Elenas Körper war Kälte gegenüber immer noch sehr empfindlich.
»Es drängte mich, zurückzukommen.«
»Mahiya ist jetzt im Turm.« Raphael bezog einen Teil seiner Kraft aus seiner Freundschaft mit den Sieben, was jeder wusste. Charisemnon war hinterhältig, ihm war ein Angriff auf die zuzutrauen, die dem Erzengel und seinen Vertrauten am wichtigsten waren. In Jasons Fall war das die Prinzessin, die der Meisterspion aus Nehas Landen mitgebracht hatte. »Ich habe sie hier untergebracht, um sie zu schützen, aber es wird sehr bald auch hier sehr gefährlich werden. Wenn du sie an einen sichereren Ort bringen möchtest, gebe ich dir gern Zeit dafür.«
»Unser Platz ist hier.« Jasons Antwort kam ohne Zögern. »Meine Mahiya würde sich nicht einfach irgendwo unterbringen lassen, wenn ihre Freunde und ihre Familie in Kämpfe verstrickt sind.«
Genau dasselbe hatte auch Elena über Mahiya gesagt. Raphaels Gemahlin und die Prinzessin waren inzwischen richtige Freundinnen geworden. »Was bringst du an Neuigkeiten?« Raphael stellte Jasons Entscheidung nicht infrage, seine Sieben wussten, was sie wollten, wobei Jason eben sicherlich auch in Mahiyas Namen geantwortet hatte. Sein Meisterspion und die Prinzessin waren zu einer untrennbaren Einheit zusammengewachsen.
»Lijuan ist von ihren Leuten ja immer wie eine Halbgöttin verehrt worden.« Die
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