Engelslied
sein Herz.
Das Wildfeuer wollte das fettige Schwarz von Lijuans Kraft wegbrennen, war aber fast am Ende und funktionierte nur noch stotternd. Gleichzeitig heilen und kämpfen war nicht mehr möglich, das spürte Raphael allzu deutlich. Er beschoss Lijuan mit Engelsfeuer, das sich in ihren Flügel bohrte – gleichzeitig bombardierte Jason Lijuan mit seinem schwarzen Blitz. Beide Treffer fielen keineswegs schwer aus, und Lijuan hätte Raphael wohl auch in ihrem leicht verletzten Zustand noch verfolgen können. Aber aus irgendeinem Grund beschloss sie, sich zurückzuziehen. Vielleicht verblasste ihre eigene Kraft ja ebenfalls langsam.
So musste es sein. Raphael sah, dass Lijuans Augen und Haare, die sich während des Gefechts gewandelt hatten, um ölig und schwarz zu werden, inzwischen wieder ihr gewohnt blasses Aussehen angenommen hatten. Lijuan war anscheinend gar nicht so allmächtig, wie sie ihren Leuten vormachte. Interessant, das ließe sich bestimmt gegen sie verwenden. Aber erst einmal landete Raphael auf einem der Balkone des Turms, wo er sich mit schierer Willenskraft auf den Beinen hielt, während in seinem Innern eine Schlacht tobte. Lijuans schwarzes Gift versuchte, ihn auszuschalten, während sein Wildfeuer dagegen ankämpfte.
Er durfte nicht stürzen, nicht hier draußen, nicht öffentlich. Seine Truppen durften nicht merken, wie sehr er verwundet war.
Irgendwie schaffte er es nach drinnen, wo sein Stellvertreter mit einem Blick erkannte, wie es um ihn stand. Aber Dmitri zuckte nicht einmal mit der Wimper. Auf ihn war Verlass, er würde ihn nicht verraten. »Lijuans Truppen ziehen sich zurück«, sagte der Vampir. »Ich erwarte in der Nacht noch hier und da Kämpfe, aber wir sollten unsere Truppen trotzdem gruppenweise ruhen lassen.«
Raphael sah alles nur noch durch einen roten Nebel hindurch. »Zahlen?«
Sein Stellvertreter rückte ganz dicht an ihn heran, damit niemand ihre Unterhaltung mithören konnte. »Mehr als die Hälfte unserer Streitkräfte ist tot oder zu schwer verwundet, um sich rasch erholen zu können. Alle anderen sind erschöpft, selbst die Stärksten unter ihnen. So, wie ich die Lage einschätze, werden Lijuans Streitkräfte im Morgengrauen einen kompromisslosen Angriff starten. Wir haben keine Überraschungen mehr für sie parat. Das wissen sie auch.«
»Autorisiere bei Anbruch des Tages den Einsatz von Raketenwerfern«, sagte Raphael. Aber Dmitri und er wussten, dass das nicht ausreichen würde. »Die Frachtflugzeuge mit den Wiedergeborenen?«
»Sind vor zwei Stunden abgeflogen.« Dmitri senkte die Stimme. »Gehen Sie und heilen Sie, Sire. Wir reden später weiter.«
»Wache über meine Stadt, Dmitri.« Unglaubliche Schmerzen schossen Raphael das Rückgrat hinauf, als er die Gefechtszentrale verließ. Mit Mühe und Not schaffte er es ins Wohnzimmer seiner Privatsuite, wo er bäuchlings zusammenbrach. Am liebsten hätte er jetzt laut geschrien, die Schmerzen hinausgebrüllt, die ihm das Innere zerwühlten, aber das ging nicht. Ein einziger Laut, und seine Truppen wussten, dass sie kurz vor dem Verlust ihrer Stadt standen. Verzweifelt biss er die Zähne zusammen.
43
»Elena«
,
ertönte Dmitris Stimme an ihrem Ohr,
»die Kämpfe laufen jetzt weniger heftig, du kannst eine Pause einlegen.«
Stirnrunzelnd drückte sie die Antworttaste. »Mir geht es prima, Dmitri, zieh jemand von den anderen ab.« Ihre sterblichen Freunde waren wesentlich erschöpfter als sie. Elena mochte zwar als Unsterbliche noch ein Baby sein, aber sie war immerhin eine Unsterbliche, was auch Wirkung zeigte.
»Du musst zum Turm zurückkehren.«
Eiseskälte kroch ihr den Rücken hinunter. »Verstanden.«
Sie stimmte ihren Flug so ab, dass sie den sporadischen Gefechten, die gerade noch tobten, ausweichen konnte, und steuerte direkt die Suite an, die Raphael und sie im Turm bewohnten. Dort landete sie auf dem Balkon. Die Balkontür war geschlossen, ließ sich aber durch Schieben öffnen. »Raphael!«
Rasch machte sie die Tür hinter sich zu. Ihr Gemahl würde nicht wollen, dass jemand ihn so sah. Sie lief zu ihm, ließ sich neben ihm auf die Knie fallen, eine Sekunde lang überzeugt, einen Toten vor sich zu haben. Aber dann sah sie die angespannten Muskeln, die verzweifelt geballten Fäuste, das durchgebogene Rückgrat und begriff, dass er gegen Lijuans Gift ankämpfte.
Da sie nicht wusste, was sie tun sollte, strich sie ihm einfach immer wieder über das Haar. »Ich bin hier, mein Liebster«,
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