Engelslied
Sanitäter suchen, warf Ransom einen gequälten Blick gen Himmel und zeigte ihr, was er bisher hinter seinem Rücken verborgen hatte: »Deine Armbrust, Gemahlin.«
Da küsste sie ihn dann doch, was vom Rest des Teams mit begeisterten Pfiffen kommentiert wurde.
Die Begegnung mit ihrem Team auf dem Dach erwies sich dann allerdings als einziger Lichtblick in ziemlicher Düsternis. Während die Nacht ging und die Morgendämmerung kam, die Stadt kaum noch mit Energie versorgt werden konnte und der Turm bei der eigenen Versorgung auf die riesigen Generatoren zurückgreifen musste, die sich unter der Erde befanden und nur eingeschaltet wurden, wenn sich Raphael und Lijuan nicht gerade in der Luft befanden, erstellten sie eine Liste ihrer Verluste, ohne dabei das Lager der Gegenseite aus den Augen zu lassen. Jede Bewegung dort drüben wurde registriert. Alles in allem war es schlecht um sie bestellt.
»Die Hälfte der Verwundeten wird in ein paar Stunden wieder kämpfen können«, erklärte Dmitri, nachdem er den anderen die nackten, bitteren Zahlen genannt hatte. »Der Rest ist entweder tot oder fällt mindestens ein paar Tage lang aus.« Er fuhr sich mit der Hand durch die Haare. Sein T-Shirt war zerknittert und blutig, seit er gegen eine Schwadron gekämpft hatte, der die Landung auf einem der Turmbalkone gelungen war. »Jason? Hast du dir halbwegs verlässliche Zahlen über die Verluste der Gegenseite besorgen können?«
Der Meisterspion nickte. »Die sind doppelt so hoch wie unsere.«
Das war gut, aber nicht gut genug. Raphaels Sieben besaßen beeindruckende Fähigkeiten, aber Lijuan konnte nach wie vor kräftemäßig einen riesigen Vorteil für sich verbuchen. So verging der Rest der ihnen verbliebenden Zeit mit Überlegungen, wie sich das Blatt für sie wenden ließ, obgleich es fast unmöglich schien. Die Besprechung kostete Nerven, denn allzu viele Kaninchen hatten sie nicht mehr, die sie noch aus dem Hut zaubern konnten. Erschwerend kam hinzu, dass Lijuan in der Zufluchtsstätte zwar bisher noch nicht zu offenen Feindseligkeiten übergegangen war, es laut Galen in ihrer Festung jedoch höchst aggressiv brodelte.
»Die greifen an, wenn wir auch nur einen Zeh in eure Richtung setzen«, hatte Raphaels Waffenmeister gesagt. »Daran kann überhaupt kein Zweifel bestehen.« An Galens Kinn hatte ein Muskel gezuckt, während der geübte Krieger ein wenig hilflos den Kopf schüttelte. »Wenn Lijuan diesen Krieg überlebt, dann hat sie hinterher mehr Feinde, als sie sich jetzt vielleicht ausmalen mag. Jeder Mann, jede Frau und jedes Kind in der Zufluchtsstätte merkt doch genau, dass die Bedrohung von ihr ausgeht.«
Eine Stunde nach Galens Bericht musste Jason mit einem weiteren aufwarten, den er gerade erhalten hatte: Auf Lijuans Territorium wurden weitere Lastenflugzeuge beladen. Nur befanden sich diesmal in den Laderäumen keine Vampire, sondern Wiedergeborene.
»Anscheinend findet es die Göttin doch nicht mehr so unehrenhaft, mithilfe ihrer ›Diener‹ den Krieg zu gewinnen.« In Raphaels Blut brodelte eiskalte Wut.
»Eigentlich …« Illiums Lächeln wirkte nicht eine Spur freudig. »Eigentlich ist es doch ein Kompliment. Sie macht sich langsam Sorgen, der Sire könnte sie ernsthaft verletzen und siegen.«
Schade nur, dass dies Kompliment durchaus zur Hölle auf Erden führen konnte.
Elena hatte sich gezwungen, sich ein paar Stunden Auszeit zu gönnen, solange das noch möglich war. Sie konnte sich immer noch nicht richtig vorstellen, dass New York im Laufe dieses Krieges vielleicht von Wiedergeborenen überlaufen wurde, aber die Möglichkeit schien ziemlich real zu sein, was ihr schwer auf der Seele lag. Da war sie froh, ihre Freundin anzutreffen, als sie sich kurz vor Morgengrauen in der Versorgungsstation des Turms einen Kaffee holte.
Mit ernster Miene zeigte ihr Sara ein Foto von Zoe, das ihr ihre Eltern gerade geschickt hatten: Die Kleine schlief tief und friedlich irgendwo in einem kleinen Dorf in Nebraska. »Wir werden Lijuan besiegen, Elena, egal, was dazu nötig ist.« Sara sah Elena fest an. »Ich lasse mein Baby nicht in einer Welt aufwachsen, die von einem Monster regiert wird.«
Elena hatte ihren Kaffee gerade ausgetrunken, als Deacon kam. Sie zog sich zurück, um den beiden ein paar Augenblicke des Alleinseins zu gönnen. Als sie sich an der Tür noch einmal umdrehte, war die zierliche Sara fast ganz in den Armen ihres breitschultrigen Mannes verschwunden. Es musste für sie beide unendlich
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