Engelslied
Freiwilligen übergegangen.« Naasir knurrte plötzlich laut auf, seine Augen blitzten.
»Es tut mir leid!« Elena befasste sich inzwischen mit seinem Rücken. »Ich muss Haut und Muskeln hier zusammenziehen, sonst ist die Wirbelsäule der Luft ausgesetzt und heilt langsamer.« Auch als das Knurren nicht aufhören wollte und Naasirs Finger zu Klauen geworden waren, hörte sie nicht auf, zu arbeiten. »So also bringt sie ihre Generäle wieder in Ordnung.«
Raphael nickte schweigend. Er dachte darüber nach, warum Lijuan mit dieser Art der Stärkung jetzt erst angefangen hatte. Wahrscheinlich war auch dies nur eine begrenzte Fähigkeit, etwas, was sie während eines bestimmten Zeitraums nur ein Mal tun konnte. Nicht, dass diese Erkenntnis ihm irgendwie weitergeholfen hätte: Wenn Lijuan ganz bei Kräften war, konnte er sie in einem normalen Zweikampf nicht besiegen. Von seinen eigenen Kräften waren ja nur noch Reste vorhanden, Lijuan hatte sie in den letzten Tagen erfolgreich dezimiert.
Naasir stand auf. Als er sich umdrehte, um Elena die Hand hinzustrecken, waren auf seinem Rücken ähnliche Pflaster zu sehen wie auf seinem Gesicht. Allerdings waren sie größer als die kleinen Klammerpflaster auf der Wange. Elena reichte ihm ihre Hand, und er zog sie hoch. Dann packte er sie um die Taille und hob sie an, bis ihr erstauntes Gesicht ganz nah vor seinem schwebte.
Raphael?
Er tut dir nichts.
Als Naasir sie spielerisch ins Kinn kniff, stieß Elena ein leises Quietschen aus. »Ich habe beschlossen, Sie nicht zu fressen!«, verkündete der Vampir und stellte sie wieder auf die Beine, ehe er sich seinem Erzenengel zuwandte. »Teile von Lijuans Truppen haben uns die ganze Nacht über belagert, aber die meisten ihrer Kämpfer haben geruht. Wir müssen im Morgengrauen mit einer Großoffensive rechnen.«
»Danke, Naasir. Geh und nähre dich – wir werden sehr bald schon gegen sie vorgehen.« Raphael konnte es sich nicht leisten, Lijuan Zeit zu lassen. Die würde sie nur nutzen, um sich noch mehr mit Kraft vollzustopfen.
Der Vampir nickte Raphael zu und ging, nicht ohne Elena noch einmal zuzugrinsen und bedeutungsvoll die Zähne zu fletschen. Raphael musste lächeln, als er den Ausdruck auf dem Gesicht seiner Gemahlin sah. Naasir hätte sie bestimmt noch eine Weile verwirrt und fasziniert – nur würde seine Gemahlin das Ende dieses Tages nicht mehr erleben, wenn sie das Monster aufhalten wollten. »Elena, es wird Zeit.«
Falls sie es schafften, falls ihre letzte gemeinsame Tat erfolgreich vollbracht werden konnte, änderte das erst einmal nichts an der zahlenmäßigen Überlegenheit der feindlichen Streitkräfte. Aber Raphaels Leute waren klug und dachten eigenständig, während Lijuans Kämpfer völlig an ihre Anführerin gebunden waren. Wenn Raphael und Elena diese Führerin ausschalteten, kam eine völlig neue Aufstellung zustande. Nicht nur verlören dann Lijuans Generäle ihre Kraft, die gesamte Befehlsstruktur bräche zusammen. Raphael setzte volles Vertrauen in seine Sieben: Sie würden sich diese Tatsache schon zunutze machen und einen Sieg erringen. »Wir können nicht länger warten.« Nicht nur New York stand auf dem Spiel: Vor einer Stunde waren in der Zufluchtsstätte Kämpfe ausgebrochen. Was in der Stadt geschah, würde auch die Schlacht in der Zufluchtsstätte beenden. So oder so.
Elena musterte stirnrunzelnd seine Schläfe. »Du reibst dir das Mal.«
Raphael ließ die Hand sinken. »Das war mir gar nicht bewusst.«
»Tut es weh?« Vorsichtig strich sie mit dem Finger darüber.
»Nein, aber es pulsiert.« Wie ein Herzschlag. »Das ist in den letzten Stunden stärker geworden.« Kopfschüttelnd legte er seine Hand an Elenas Wange. Dort klaffte eine Schnittwunde unter dem Auge, die sich bis auf die Wange hinunterzog. Auch ihre Arme waren voll kleinerer Schnitte, dort hatten bei unbedeutenderen Scharmützeln die Scherben berstender Fenster sie getroffen. Elenas Körper war mit seinen Kräften fast am Ende und heilte nur noch langsam.
»Mir gefällt es nicht, dass deine Farben verborgen sind«, sagte Raphael. Elena hatte sich Haare und Flügel braun gefärbt, damit Lijuan nicht auf den ersten Blick sah, wer da neben Raphael flog.
»Das geht mit Wasser und Seife gut wieder raus. Ich kümmere mich drum, wenn wir mit Lijuan fertig sind.« Wie zuversichtlich sie klang. Dabei wussten sie doch beide nur zu genau, dass sie sich bald zum letzten Mal küssen würden. »
Knhebek
, Raphael.«
»Du bist mein
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