Engelslied
hatte, an die elegante, formvollendete Zusage auf ebenso feinem Papier, auf dem in der einen Ecke allerdings die fast schon neckische Abbildung eines Lemuren zu sehen gewesen war. »Sie haben nicht abgesagt?«
»Elias hat es angeboten, aber ich habe gesagt, wir sähen Hannah und ihn sehr gern an unserem Tisch.« Raphael faltete die Flügel zusammen und ging hinaus auf den Balkon. Elena folgte ihm in die klare, winterliche Luft. »Wir sollten langsam innerhalb des Kaders echte Freundschaften aufbauen. Andere Allianzen, die sich im kommenden Krieg als destruktiv erweisen könnten, formen sich bereits.«
Elena rieb sich die Arme. Hatte sie eigentlich auch ein paar Ganzarmfutterale im Turm? Ihr standen an beiden Armen die Härchen hoch, was allerdings gar nichts mit dem kalten Wind und der immer dichter werdenden Wolkendecke zu tun haben mochte. »Du denkst an Neha und Lijuan.« Zwei mächtige Erzengel, noch dazu Nachbarinnen, die immer schon ein herzliches Verhältnis zueinander hatten.
»Die Liaison könnte tödlich werden.«
Manhattan – von Hagelstürmen aus Feuer und Eis belagert, während sich Lijuans Wiedergeborene an den Sterblichen nährten und die ganze Stadt in eine einzige Pestbeule verwandelten? Der Gedanke allein schnürte Elena die Kehle zu. »Aber Jason sagte doch, Neha habe sich nicht von Lijuan vereinnahmen lassen. Da ist er sich ganz sicher.«
»Auf Nehas Gebiet lebt auch noch deren Zwillingsschwester. Was, wenn die ihre Armee gegen Neha in die Schlacht schickt? Undenkbar wäre das nicht«, gab Raphael zu bedenken. »Und Neha gibt mir die Schuld am Tod ihres Kindes.« Manche Wunden verheilten einfach nicht, das durfte man nie vergessen, obgleich Neha gerade erst vor Kurzem Jason den Aufenthalt auf ihrem Gebiet gestattet hatte, was ja eher auf Friedfertigkeit schließen ließ. »Und Lijuan hat sich in letzter Zeit sehr höflich verhalten. Weder ihre Wiedergeborenen, noch ihre Truppen sind Neha und ihrer gemeinsamen Grenze zu nahe gekommen.«
Wenn Raphael die Einzelheiten so zusammenfasste, meinte Elena förmlich zu sehen, wie sich Allianzen bildeten. »Aber du bist doch schon mit Elias befreundet«, hakte sie trotzdem noch einmal nach.
»Ja, auf eine gewisse Weise schon. Er hat mir in Kaderangelegenheiten immer seine Unterstützung angeboten.« Draußen flog gerade, von Illium angeführt, eine Schwadron vorbei. So hoch oben in der Luft wirkte Illium ganz wie der geborene Kämpfer, der er ja auch war, selbst wenn Elena es oft vergaß. Raphael schickte als Gruß einen Blitz zu der Gruppe hinüber.
Elena hielt die Luft an, als Illium einen kurzen Befehl bellte, woraufhin sich die Schwadron aufteilte, um dem Blitz zu entgehen – den Illium daraufhin mit dem Schwert ablenkte, das er sich aus der Scheide auf seinem Rücken gezogen hatte. Letztendlich traf die Energieladung den Turm, ohne dort irgendeinen Schaden anzurichten, und Illium salutierte grinsend, ehe er weiterflog. »Das war jetzt aber kein Engelfeuer, oder?« Ein Erzengel vermochte mit Engelfeuer nicht nur zu töten, sondern auch Beton bersten zu lassen.
»Nein, das war nur ein schwaches Flämmchen, um die Wachsamkeit meiner Leute zu testen.« Ohne die Augen von seiner Stadt zu lassen, knüpfte Raphael dort wieder an, wo das Auftauchen von Illium mit seiner Truppe sie unterbrochen hatte. »Wenn Elias und ich echte Freunde werden wollen, wenn ein Bündnis zustande kommen soll, das in den kommenden Kämpfen Bestand hat, dann reicht es nicht, wenn ich ihn einlade. Dann muss ich ihm auch noch auf einer darüber hinausgehenden Ebene vertrauen können.«
»Du willst ihn über das wahre Ausmaß der durch den Sturz verursachten Schäden informieren?«
»Nein.« So weit, den radikal dezimierten Stand seiner Truppen einzugestehen, vertraute er niemandem im Kader. »Elias mag mir den Olivenzweig der Freundschaft gereicht haben, er ist aber schon länger erfolgreich im Besitz seines Gebietes, als ich Erzengel bin. Er ist genauso gnadenlos auf seinen Machtvorteil bedacht wie wir anderen auch.«
»Wie schlimm steht es denn?«, erkundigte sich Elena leise. »Du hattest ja jetzt Gelegenheit, alle Verletzten zu untersuchen.«
»Wir verlagern langsam Männer und Frauen aus entlegeneren Gebieten in die Stadt, um die Verteidigung zu stärken, aber das Turmpersonal war ja nicht ohne Grund hier stationiert. Diese Krieger sind unsere besten, jeder einzelne von Galen persönlich geprüft und ausgebildet.« Außerdem musste jeder Kämpfer alle zwei Jahre in
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