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Engelslied

Engelslied

Titel: Engelslied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nalini Singh
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Bürgersteig an ihnen vorbeidrängte, einen maßgeschneiderten Anzug am Leib, der seine O-Beine trotzdem nicht ganz zu kaschieren vermochte, und auch Stock und Hut halfen dabei nicht.
    Kupferstaub und Zimt, mit einem Hauch verbrannter Eiche.
    Komplex und interessant und einmalig.
    »Ich habe dich immer schon mal etwas fragen wollen«, sagte sie, ein weiterer Versuch, ihre Gedanken vom widerwärtigen Angriff auf ihre Stadt abzulenken – denn es war ein gezielter Angriff gewesen, daran hegte sie nach Raphaels Ausführungen über das »Weichkochen« eines Gegners keinen Zweifel mehr. »Riechst du eigentlich dasselbe wie ich?«
    Ransom verzog das Gesicht, als sie ihm beschrieb, wie sie den Vampir eben wahrgenommen hatte. »Klar doch, bloß gebe ich nicht solchen Schwachsinn von mir wie ›Zimt, mit einem Hauch verbrannter Eiche‹! Bei mir heißt das: ›Typ riecht wie ein elektrisch geladener Baum mit Donutzuckerguss.‹«
    Das Lachen stieg völlig unerwartet in ihr auf und hätte sie fast erstickt. So herzlich hatte sie lange nicht mehr gelacht. Sie stützte sich mit dem Ellbogen auf Ransoms Schulter, um mit ihm den Stadtplan zu studieren, während auf der anderen Seite der ruhigen Straße zwei Kindermädchen mit ihren Schützlingen stehen blieben, um verstohlen ein paar Fotos zu schießen. Gut so! »Und? Mit wem treffen wir uns?« Ein Hauch Zitrus, stark und sauber. »Köstliches Shampoo.«
    »Zitronen, du Klugscheißerin. Damit wird man den schlimmsten Gestank los, sagt meine Großmutter. Darrells Großmutter nun wiederum wohnt in dem Haus da drüben. Es gehört ihr sogar.« Er deutete mit dem Kinn nach rechts. »Und wenn irgendwer Darrell nahesteht, dann anscheinend seine Großmutter.«
    »Ich wusste gar nicht, dass du ihn so gut kennst.«
    »Tu ich auch nicht. Wir waren vor drei Jahren mal zusammen auf der Jagd.« Er klappte den Faltplan zusammen und reichte ihn an Elena weiter, damit sie ihn in den Rucksack stecken konnte. »Viel hat er nicht erzählt, aber seine Großmutter hat ihn wohl mehr oder weniger großgezogen. Und laut Internet wohnt die Dame dort drüben.«
    »Den Hintergrundbericht haben wir demnach immer noch nicht?« Eigentlich hätten sie detaillierte Informationen schon gestern gebraucht, denn bei einem Fall wie diesem spielte der Zeitfaktor eine entscheidende Rolle. Wenn Vivek das noch in der Hand gehabt hätte … hatte er aber nicht.
    Ransom sah auf, seine Miene ließ auf schlechte Neuigkeiten schließen. »Anscheinend sind in der Gilde die Computer zusammengebrochen. Der Bericht wird per Hand zusammengestellt.«
    In Elenas Magen breitete sich zunehmend Verärgerung aus. Ohne den Blick von den geschlossenen Vorhängen des stattlichen alten Hauses zu nehmen, das sie gleich ansteuern wollten, trat sie einen Schritt zurück, damit Ransom sich vom Sattel schwingen konnte. Noch regte sich dort drüben nichts. Das ganze Haus erstrahlte in makellosem Weiß, einschließlich der extravaganten Simse, die nicht ein Fleck verunzierte.
    An der Haustür empfing sie ein Dienstmädchen. »Ms Flaherty kann keinen Besuch empfangen.«
    »Es geht um ihren Enkel Darrell.« Ransom hielt der gesetzten, weißhaarigen Frau seinen Gildeausweis hin. »Ich glaube, Ms Flaherty will hören, was wir zu sagen haben.«
    Die Miene der Dienstbotin ließ echte Besorgnis erkennen, als sie die beiden Jäger mit einer Geste in das Zimmer gleich neben der Haustür bat. »Bitte warten Sie hier im Morgenzimmer.«
    Elena zwängte sich durch die enge Zimmertür, um sich am Fenster zur Straße hin zu postieren, während Ransom sich erst einmal gründlich umsah, nachdem er seinen Rucksack auf einem zierlichen Stühlchen aus fein geschnitztem, honigfarbenem Holz abgelegt hatte, dessen Sitzflächenpolster mit einem glatten, burgunderfarbenen, mit goldenen Streifen durchwirkten Stoff bezogen war.
    Wenig später summte es leise draußen im Flur. Das mochte ein Aufzug gewesen sein, denn gleich darauf schob das Hausmädchen Ms Flaherty in einem Rollstuhl durch die Tür. Darrells Großmutter trug einen pfirsichfarbenen Turban zu einem blasslila Kaftan, der weit um den dünnen Körper floss, ihre mokkafarbene Haut wirkte dünn wie Papier. Aber die Hand, die sie dem Dienstmädchen in einer Dankesgeste auf den Arm legte, schien kräftig, die braunen Augen blickten wach und klar.
    Ein schönes altes Gesicht, dachte Elena, das gleichzeitig Stärke und Charakter erahnen ließ. Vor ihr saß keine alte Dame, die zusammenbrechen würde, sobald sie

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