Engelslieder
würde er den Verstand verlieren.
Er sprach mit seinem Anwalt Marvin Steinberg, dem stellvertretenden Geschäftsführer Jerry Vincent, dem Leiter der Finanzabteilung Bill Simpson und auch mit John Yates von Russel-Bingham, der kleinen Investmentbank, die zugestimmt hatte, sie zu beraten. Russ Petrone hatte es geschafft, die Immobilie gegenüber seiner Filiale am Pioneer Square zu mieten und dann unterzuvermieten, und A-1 so für eine Weile abgeschüttelt – doch das reichte nicht. Ben hatte genug von der permanenten Bedrohung, die von A-1 ausging, und war fest entschlossen, sie endgültig aufzuhalten. Er und seine Mitarbeiter hatten so hart für eine Lösung des Problems geschuftet.
Ben konnte sich ein Lächeln kaum verkneifen. Bislang lief alles wie am Schnürchen.
Er hatte gerade sein Gespräch mit Yates beendet, als Pete Rossi anrief. Pete ratterte die Informationen herunter, die er über die Brethren-Kirchengemeinde und die Bruderschaft des Lazarus gesammelt hatte – das meiste davon wusste Ben bereits. Außer dass Samuel Beecher wegen sexuellen Kontakts zu einer Minderjährigen und Mitwisserschaft in einem vermeintlichen Fall von erzwungener Eheschließung mit einer Jugendlichen verhaftet worden war. Beide Anklagepunkte, so Rossi, waren aus Mangel an Beweisen fallen gelassen worden. Niemand wollte gegen Beecher aussagen. Dann verschwand das Mädchen, vermutlich wurde es zu irgendeiner anderen polygamen Familie gebracht.
Doch Beecher war auf den Radar des Staates Washington geraten, und dieses Mal blieb er dort.
Ben versuchte nicht darüber nachzudenken, was das alles für Molly bedeutete.
“In Beechers Privatleben bin ich noch nicht eingetaucht”, fuhr Pete fort. “Aber ich fange sofort damit an und melde mich dann wieder.”
“Je schneller, desto besser”, erwiderte Ben.
Mit rauchendem Kopf verließ er das Büro, ging hinunter in die Kletterhalle und verbrachte einige Stunden an der Kletterwand. Seitdem er an Autumns Kurs teilnahm, tat er das regelmäßig. Er hatte sogar ein paar Einzelstunden bei Jess Peters genommen, einem Kletterer, der in seinem Laden in der Innenstadt arbeitete. Er und Jess hatten einige Nachmittagsausflüge in die Berge unternommen, um zu üben. Vielleicht hoffte er, Autumn damit zu beeindrucken, er wusste es nicht genau. Was auch immer der Grund war, inzwischen war er auf den Geschmack gekommen und wollte besser werden.
Es war schon spät, als er zurück in sein Büro ging. Er machte sich an den Stapel Papierkram, den er die gesamte Woche gemieden hatte. Jetzt schien es ihm eine gute Methode zu sein, um seine Gedanken davon abzuhalten, an verbotene Orte zu wandern.
Der Anruf von Deputy Cobb erreichte ihn vollkommen unerwartet. Über die Gegensprechanlage teilte Jenn ihm mit, wer in der Leitung war. Er sammelte Kraft, bevor er den Hörer abnahm. Jenn kannte inzwischen die ganze Geschichte, und wie er erwartet hatte, tat sie alles, was in ihrer Macht stand, um ihn bei der Suche nach seiner Tochter zu unterstützen.
“McKenzie.”
“Hier spricht Deputy Cobb. Ich dachte mir, Sie wollen es sicher so schnell wie möglich erfahren. Diesen Nachmittag wurden zwei Verdächtige im Mordfall Vreeland festgenommen.”
Es schnürte ihm die Brust zu.
“Wenn das über den Äther geht, wird man lange von nichts anderem mehr sprechen, aber noch wurde die Information nicht freigegeben.”
“Wer war es?”, fragte Ben.
“Die Beecher-Brüder – Samuel Beechers Söhne Joseph und Jedediah. Sie sagten, sie hätten mit Gott gesprochen und er habe ihnen befohlen, Priscilla Vreeland umzubringen.”
Ben stützte sich auf dem Schreibtisch ab, in seinem Kopf drehte sich alles. “Wo sind sie jetzt?”
“Im Stadtgefängnis in Warren.”
“Ich muss mit ihnen sprechen.”
“Ich glaube kaum, dass die Polizei das zulassen wird.”
“Ich muss es versuchen. Danke, Deputy. Ich weiß Ihren Anruf wirklich zu schätzen.”
“Ich dachte, es könnte … na ja … Ihnen irgendwie bei der Suche nach Ihrer Tochter helfen. Trotzdem wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie meinen Namen da raushalten würden. Ich würde nämlich gern meinen Job behalten.”
“Ihr Name wird nirgendwo auftauchen. Ich gebe Ihnen mein Wort.” Ben legte auf und saß einige Minuten einfach nur da, um das eben Gehörte zu verdauen. Dann wählte er Autumns Nummer.
“Ich fahre nach Warren rauf. Sie haben gerade die beiden Männer verhaftet, die Priscilla Vreeland ermordet haben.”
“Oh Gott.”
“Sie heißen Joseph und
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