Engelslieder
würde sich mehr aus ihr machen, als er es in Wirklichkeit tat. Sie tröstete sich mit den Erinnerungen an zwei herrliche Wochen in den hohen Bergen und schwor sich, nie wieder so eine Dummheit zu machen.
Wie also hatte es passieren können, dass sie in der vergangenen Nacht mit Ben im Bett gelandet war?
Autumn sog scharf die Luft ein. Oh Gott, der Mann war der begehrteste Junggeselle in ganz Seattle. Sein Bild zierte sämtliche Gazetten. Und stets hatte er die schönsten Frauen im Arm. Wie konnte sie nur so dumm gewesen sein, mit ihm ins Bett zu steigen?
Doch kaum dachte sie an ihn, erinnerte sie sich auch an den Schmerz in seinem Blick, an die Niederlage, die ihn wie ein regendurchtränkter Mantel nach unten gezogen hatte. Sie hatte ihn einfach nicht allein nach Hause gehen lassen können, wo er sich nur das Hirn über sein kleines Mädchen zermartert hätte.
Oder zumindest war das ihre Ausrede.
In Wahrheit hatte sie gewollt, dass Ben blieb. Sie hatte sich so sehr nach dem Sex mit ihm gesehnt, dass es ihr förmlich körperliche Schmerzen bereitet hatte.
Und sie war nicht enttäuscht worden.
Kein Stück ihrer Lebenserfahrung hatte sie auf eine Liebesnacht mit Ben McKenzie vorbereitet.
Sie ignorierte das warme Prickeln, das sie beim Gedanken an innige, leidenschaftliche Küsse durchlief, an heiße, nackte Haut und an große, begabte Hände, die ihren Körper streichelten.
Autumn seufzte, als sie in die Auffahrt zum grauweißen, extrabreiten Fertighaus ihres Vaters bog. Es stand ein paar Meilen vor der Stadt auf einem zwei Hektar großen Stück Land. Ihr Vater hielt das Haus sauber und das Grundstück gepflegt.
Oder vielleicht kümmerte sich inzwischen Myra um das Haus.
Wie auch immer – sie war froh, dass es Max besser ging. Seit jener Nacht im Krankenhaus hatte sie täglich mit ihm telefoniert. Es beunruhigte sie zwar ein wenig, dass er immerfort von der Ehe mit Myra sprach, aber nach einigem Überlegen war Autumn zu dem Schluss gelangt, dass es seine Angelegenheit war.
Als sie sich fragte, ob die silberblonde Frau wohl zu Hause wäre, stellte sie überrascht fest, dass sie darauf hoffte. Myra war ein guter Mensch und ihrem Vater eine wahre Freundin.
Wenn Max sie heiratete …
Autumn dachte an die Tränen, die ihre Mutter vergossen hatte, während sie auf Max gewartet oder das Parfum an seinem Hemdkragen gerochen hatte, wenn er endlich kam.
Wenn ihr Vater wieder heiraten würde …
Myra tat ihr leid.
Es war sieben Uhr am Samstagmorgen. Seit sechs Uhr klingelte das Telefon ununterbrochen. Autumn saß am Frühstückstresen, starrte auf das Foto im Gesellschaftsteil der Zeitung und wusste genau, wer da so hartnäckig anrief. Bei jedem schrillen Klingeln zog sich ihr Herz schmerzhaft zusammen, und ihr wurde übel.
Das konstante, irritierende Klingeln begann von Neuem, und Autumn biss die Zähne aufeinander. Noch einmal las sie den hübsch geschriebenen Artikel über das Wohltätigkeitsdinner, das am Vorabend im Broadmoor-Country-Club stattgefunden hatte. Rings um den Bericht waren diverse Fotos abgedruckt, aber eines stach besonders hervor.
Ein Bild von Ben McKenzie im Smoking neben einer attraktiven Brünetten namens Beverly Styles. Was das Foto so pikant machte, war die Art und Weise, wie die Frau die Arme um Bens Hals gelegt hatte. Ohne Zweifel war das Foto aufgenommen worden, nur wenige Sekunden bevor die beiden sich küssten.
Wieder klingelte das Telefon, ein scheppernder Ton, der durch all den Schmerz und Verrat zu Autumn durchdrang. Sie sprang auf die Füße, packte den Zeitungsteil mit Bens Foto, zerknüllte ihn und warf ihn in den Mülleimer.
Verflucht, nicht schon wieder!
Irgendetwas stimmte nicht mit ihr. Warum sonst hielt sie die Männer immer für anders, als sie in Wirklichkeit waren? Warum glaubte sie, dass sie auch nur einem einzigen trauen konnte?
Erst als eine Träne ihre Wange herunterkullerte, merkte sie, dass sie weinte. Sie verfluchte Ben McKenzie, wischte sich energisch die Tränen ab, schnappte sich ihre Tasche und stob zur Tür hinaus.
Sie wollte nicht zu spät an der Halle ankommen, wo sich ihr Kletterkurs zum Boulder-Ausflug traf.
Wenn Ben McKenzie die Dreistigkeit besäße aufzutauchen …
Sie wusste nicht genau, was sie dann täte, aber vor ihrem geistigen Auge tauchte ein Bild von ihnen beiden beim Klettern auf. Mit grimmiger Genugtuung stellte sie sich vor, wie sie das Sicherungsseil losließ und Ben von einem Felsen stürzte.
Ben wartete bereits bei den
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