Engelslieder
darfst – solange wir auf dem See bleiben und nicht in den Fluss gehen.”
“Jippieh!” Sie reckte den Arm in die Luft, um ihren Aufschrei der Freude zu unterstützen, und sprang im Kreis auf und ab. “Gehen wir gleich heute?”
“Sobald du fertig bist.”
“Ich bin fertig! Ich bin fertig! Los! Lass uns fahren!” Sie packte ihre kleine blaue Leinentasche und rannte vor ihm zur Haustür.
Ben drückte sanft die Schulter seiner Exfrau. “Mach dir keine Sorgen, Joanne. Ich passe gut auf sie auf.”
Sie nickte. Wenn es um die Familie ging, vertraute sie ihm blind.
Es war das einzige Thema, in dem sie sich je einig gewesen waren.
Es war noch früh. Das Büro war noch geschlossen. Es war Dienstag, der Morgen nach dem langen Wochenende um den 4. Juli. Nach einem Tag auf dem nahe gelegenen Lake Washington hatten sich Ben und Katie vom Ufer aus das Feuerwerk angesehen, mit dem Jahr für Jahr der Unabhängigkeitstag gefeiert wurde.
Ben hatte Katie nach Hause gebracht und war danach zu Autumn gegangen, wo er die Nacht auf dem Sofa verbracht hatte. Er wusste, dass sie ihn nicht bei sich haben wollte. Sie wirkte wachsam und nervös – und sah dabei dermaßen niedlich aus, dass er all seine Selbstkontrolle aufbringen musste, um sich von ihr fernzuhalten. Irgendwann nach zwei Uhr wachte sie auf, doch ihr Traum war derselbe wie in der Nacht zuvor und lieferte ihnen keine neuen Informationen.
In der darauffolgenden Nacht war es dasselbe. Er war absichtlich erst spät bei ihr aufgetaucht, um ihr Luft zum Atmen zu lassen, obwohl er sie viel lieber zum Essen ausgeführt oder sich mit ihr vor den Fernseher gekuschelt hätte.
Das ungewollte Interesse, das er für sie verspürte, ärgerte ihn. Dieses andauernde Verlangen, das niemals zu schwinden schien. Er wollte mit ihr zusammen sein, egal, wie energisch sie ihn von sich wegstieß.
Aber vielleicht war es ja genau das. Autumn war eine Herausforderung: eine Frau, die er wollte, die ihn aber zurückwies.
Ben wünschte, er könnte sich das eingestehen.
Er blickte auf den Papierkram, der auf seinem riesigen Schreibtisch lag. Kurt Fisher hatte ihm ein weiteres Angebot von A-1-Sports gebracht, in dem er den Kaufpreis für die Kette um eine beträchtliche Summe erhöht hatte. Kurt ließ außerdem diverse, nicht gerade subtile Hinweise auf die Immobilie fallen, die A-1 am Pioneer Square und somit in unmittelbarer Nachbarschaft von Bens Issaquah-Filiale mieten wollte.
Statt das Geschäft wie beim Mal zuvor ohne Umschweife abzulehnen, teilte Ben Fisher mit, er brauche Zeit, das Angebot zu überdenken und es – selbstverständlich – von seinem Anwalt prüfen zu lassen.
Kurt Fisher und seine Bagage waren nicht die Einzigen, die Spielchen spielen konnten.
Mit den Gedanken ganz beim Geschäft, griff er nach dem Telefon und wählte die Nummer seines Immobilienmaklers Russ Petrone.
“Gibt’s schon Reaktionen auf unseren Vorschlag?”, fragte Ben. Er bezog sich dabei auf einen Plan, den er schmiedete, um den Mietvertrag von A-1 zu verhindern.
“Noch nicht, aber ich glaube, dass sich einige Parteien ernsthaft dafür interessieren.”
“Gut. Behandle die Sache weiterhin diskret, und bleib dran.”
“Wird gemacht.”
Ben legte auf und lehnte sich in seinem Stuhl zurück. Er musste die Bedrohung, die von A-1 ausging, endgültig abwenden und hatte womöglich einen Weg gefunden. Er lächelte. Die Vorstellung, wie wütend Kurt Fisher würde, wenn sein Plan tatsächlich aufging, gefiel im.
Dann nahm eine andere, wesentlich wichtigere Sache von seinen Gedanken Besitz, und Ben hörte auf zu lächeln. Er setzte sich gerade hin, legte die Hand auf die Maus, klickte das Webbrowsersymbol auf dem Desktop an und wartete, bis die Google-Startseite auf dem Monitor erschien.
Er war seit Jahren nicht mehr auf dieser Webseite gewesen. Es tat einfach zu weh. Er gab die URL in die Adressleiste ein: www.missingkids.com .
Die Seite wurde geladen. Sie zeigte Bilder von Kindern, die seit Kurzem vermisst wurden. Über verschiedene Links gelangte man zu den anderen, seit längerer Zeit vermissten – die Zahl war so hoch, dass ihm ein Stich durch die Brust fuhr.
Man musste verschiedene Antwortfelder ausfüllen, um Informationen über ein konkretes vermisstes Kind zu erhalten. Ben begann zu tippen. Man musste angeben, ob das Kind männlich oder weiblich war sowie in welchem Staat und seit wie vielen Jahren es verschwunden war. Als er alles eingeben hatte, klickte Ben auf “Suchen”, lehnte
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