Engelslieder
der drei kleinen Separees im hinteren Teil des Cafés gerade ein Stück Käsekuchen teilten, klingelte Autumns Handy. Die Nummer auf dem Display war ihr unbekannt.
“Hey, Kleines, hier spricht dein alter Herr.”
“Dad, wo bist du?”
“Myra und ich sind in Reno. In den Flitterwochen. Wir haben gerade geheiratet!”
“Dad!”
“Jawohl. Alaska Air bietet Direktflüge hierher an, und wir sind einfach reingehüpft, und schwupp waren wir hier. Wir wollten dich heute Abend anrufen und von der Neuigkeit berichten.”
Durch ihren Körper wirbelte ein Gefühlscocktail aus Zweifel, Sorge, Ungläubigkeit und Ablehnung. “Ihr habt
geheiratet
? Aber du hast doch gesagt …”
“Ich habe dir gesagt, ich will Myra zu einer ehrbaren Frau machen.” Er sagte etwas zu Myra, das Autumn nicht verstehen konnte, und beide lachten. “Das ist der glücklichste Tag meines Lebens.”
Allmählich nahm sie die Freude in seiner Stimme wahr. Er klang überglücklich. Vielleicht war er es ja wirklich. Sie hoffte es.
“Herzlichen Glückwunsch, Dad. Ich wünsche euch beiden von Herzen alles Gute.”
“Danke, Schatz.”
Über den Tisch warf sie Ben die lautlosen Worte “Er hat geheiratet” zu, und er schien erstaunlich erfreut.
“Gut für ihn”, erwiderte er ebenfalls lautlos.
“Sag deiner neuen Stiefmutter ‘Hallo’”, meinte Max und reichte Myra den Hörer.
“Hallo, Autumn, Liebes. Ich bin ja so glücklich.”
“Ich bin auch glücklich”, erwiderte Autumn und wünschte, sie würde es ein wenig ehrlicher meinen. Die beiden sprachen kurz miteinander, und Autumn überbrachte noch einmal ihre besten Wünsche. “Ben lässt euch auch gratulieren.”
“Den solltest du dir unbedingt schnappen, meine Süße. Er ist ein leckeres Früchtchen.”
Ihr Magen verkrampfte sich. Sie würde sich überhaupt niemanden “schnappen”, schon gar nicht Ben.
Glücklicherweise kam Max wieder in die Leitung. Autumn verdrängte die Vorstellung von ihrem Dad und Myra, wie sie miteinander schliefen, und den Gedanken an die Anstrengung, die das für sein Herz bedeutete.
“Nur eine Sache, Dad, dann will ich eure Flitterwochen auch nicht weiter stören.”
“Was denn, Schatz?”
“Dad, ich möchte dich bitten, dich an einen Ausflug zu erinnern, den wir vor einigen Jahren ins Kaskadengebirge gemacht haben. Ich weiß nicht mehr genau, in welchem Jahr es war, aber es war Sommer, und wir wollten campen gehen. Bevor es losging, haben wir bei dem Sportgeschäft in Burlington gehalten und etwas für unsere Ausrüstung gekauft – ein neues Zelt, und ich glaube, ich habe einen Schlafsack gekauft. Erinnerst du dich daran, Dad?”
“Nicht aus dem Stegreif.”
“Es ist wirklich wichtig. Ein Mann war dort, ein blonder Mann. Er hat ‘Hallo’ zu uns gesagt.”
“Hallo? Und sonst nichts? Du erwartest von mir, dass ich mich an irgendeinen Typen in dem Sportladen erinnere, der vor Jahren ‘Hallo’ zu uns gesagt hat?”
Sie seufzte und schickte ein Kopfschütteln in Bens Richtung. “Es war nur ein Versuch. Ich dachte, du hättest ihn danach vielleicht noch mal gesehen oder sogar kennengelernt.”
“Tut mir leid, Schätzchen. Ich erinnere mich wohl an den Campingausflug, aber nicht an die Begegnung mit diesem Mann.”
“Na ja, trotzdem danke. Dann genießt ihr zwei mal eure Flitterwochen. Wir feiern, wenn ihr zurück seid.” Sie legte auf und stopfte das Handy wieder in ihre Handtasche.
“Kein Glück?”, fragte Ben.
“Mein Dad ist der Einzige, der Glück hat.”
Ben lachte leise. “Ich mag deinen Vater. Er holt das Beste aus dem Leben heraus. Das sollten wir alle machen.”
Autumn antwortete nicht. Ihr ging die Frage nicht aus dem Kopf, wie das Leben mit ihrem Vater und Myra weiterginge. Eine Frau war ihm noch nie genug gewesen. Warum sollte sich das plötzlich ändern?
Sie seufzte. Vielleicht hatte das Alter ihn verändert.
Autumn wünschte, sie könnte daran glauben.
Da der Detective an diesem Wochenende frei hatte, rief das Polizeirevier Doug Watkins zu Hause an. Ben McKenzie war ein einflussreicher Mann in Seattle, und die Polizei erinnerte sich noch immer gut an den Entführungsfall von vor sechs Jahren. Dass Watkins jetzt in der Stadt arbeitete, im östlichen Bezirk an der 12th Avenue, erwies sich als äußerst praktisch.
Ben und Autumn warteten auf dem Revier auf ihn, als die Eingangstür aufschwang und Autumns Freund, Joe Duffy, hereinkam. Joe arbeitete eigentlich im Bezirk Virginia Street, weshalb sie ein wenig
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