Engelslust
glitten Cains Hände über ihren Körper. Raja sah schrecklich aus. Überall klebte Blut: in ihrem Haar, an ihrer Wange, auf ihrer Kleidung. Es schien ihr jedoch tatsächlich bestens zu gehen, denn sie konnte ihn schon wieder necken.
»Ist alles verheilt? Dir tut nichts mehr weh?«, fragte er.
»Ich fühle mich wie neugeboren. Als hätte ich eine Überdosis gwandorianischen Blütennektar intus. Und meine Mutter kann mich auch nicht mehr aufspüren, denn als du mir das bittere Gesöff aus dem Kelch eingeflößt hast, habe ich gespürt, wie unsere mentale Verbindung plötzlich abriss. Ich fühle mich richtig befreit, einfach superklasse!«
»Vielleicht hat der Kelchtrank deine dämonischen Eigenschaften abgeschwächt?« Cain war immer noch total durcheinander und den Tränen nahe. Beinahe hätte er die wichtigste Person in seinem Leben verloren. Er hatte Raja schon tot geglaubt.
Er bemerkte erst, dass Cris den Kopf zur Tür herein steckte, als der fragte: »Ist wirklich alles in Ordnung?«
Cain nickte. »Ich denke schon. Ich werde sie eben mal untersuchen.«
»Verstehe. Wenn ihr was braucht …«, murmelte Crispin, blieb jedoch im Türrahmen stehen und fügte leise hinzu: »Cain, also, bei aller Freundschaft … Das letzte Mal hab ich wegen deiner Verliebtheit ein Auge zugedrückt, aber Raja … hier, in der Zentrale … also, das muss ich melden.«
Cain nickte. »Ist okay, Cris. Ich möchte auch nicht für deinen Sturz verantwortlich sein. Bei mir ist sowieso alles egal, ich bin schon so gut wie erledigt.«
Bevor Crispin die Tür hinter sich zuzog, sagte er deutlich niedergeschlagen: »Ich werde ein gutes Wort für dich einlegen, Kumpel.«
Um seine Zukunft machte sich Cain im Moment allerdings die geringsten Sorgen. Mit zitternden Fingern half er Raja aus dem Oberteil, an dem das Blut bereits gerann, und merkte nicht einmal, dass er den kleinen Kelch noch in seiner Hand hielt. Das Gefäß leuchtete nicht mehr, sondern sah jetzt aus wie ein gewöhnlicher winziger Kelch aus Glas oder Kristall. Er sandte auch keine Energieimpulse mehr aus. Anscheinend brauchte es seine Zeit, bis das Artefakt wieder »bereit« war.
Cain holte ein weißes T-Shirt aus dem Regal und half, es ihr überzustreifen. »Wir haben hier auch eine Dusche, wenn du dich frischmachen möchtest. Ich muss nur erst sehen, wie ich den Kelch … aber dann bin ich sofort wieder …« Vor Aufregung geriet er ins Schleudern. Er wollte Raja jetzt nicht alleinlassen, doch er musste seine Pflicht erfüllen.
»Cain!« Raja setzte sich neben ihn und nahm seine Hand. »Es ist alles in Ordnung. Geh nur, ich komm schon klar.«
Sie sahen sich tief in die Augen, bevor sie sich umarmten. Eine ganze Weile hielten sie sich einfach nur fest.
Cain seufzte in ihr Haar und konnte immer noch nicht glauben, wie alles ausgegangen war. »Ich dachte schon, ich hätte dich …« Seine Stimme brach, und er musste Raja einfach küssen, sie schmecken, sie berühren, riechen, mit allen Sinnen wahrnehmen. »Ich liebe dich, Raja.«
Sie schmiegte sich so eng an ihn, bis sie fast auf seinem Schoß saß, und streichelte seine stoppelbärtige Wange. »Das weiß ich doch.«
»Ähem!« Ein Hüsteln schreckte sie beide auf und Cain traute seinen Augen kaum: Vor ihnen stand ein großer Mann mit silberweißen Haaren, die ihm bis zu den Hüften reichten. Er trug ein langes silbernes Gewand, und seine schneeweißen Schwingen waren so ausladend, dass sie die Decke berührten. Mit tiefblauen Augen schaute er zu ihnen herab. Er war unverkennbar ein Mitglied des Hohen Rates, denn seine Präsenz war übermächtig!
»Das nenn ich mal einen Engel«, murmelte Raja, doch Cain sprang sofort auf und ging vor dem Wesen auf die Knie. Das Artefakt hielt er dabei in die Höhe, ohne sein Gegenüber anzusehen. Demütig hielt er den Blick gesenkt. Die Stunde der Wahrheit war gekommen, er erwartete seine Strafe. Die würde bestimmt doppelt so hart ausfallen; immerhin hatte er eine Dämonin in die Zentrale gebracht.
Halbdämonin , redete er sich ein, aber Cain war auf alles gefasst. Er hatte diesen Augenblick kommen sehen und würde sich den Konsequenzen stellen.
Raja neben ihm rührte sich nicht, sie schien sogar die Luft anzuhalten. Hatte sie Angst vor ihrem Feind? Aber plötzlich hockte sie sich zu Cain auf den Boden und sagte zu dem Engel: »Seien Sie nicht zu streng mit ihm, immerhin hat er den Kelch zurückgebracht.« Dabei legte sich ihre Hand auf Cains Oberschenkel. »Außerdem war alles meine
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