Engelslust
wie ein gewöhnlicher Geigerzähler: ein handflächengroßes Gerät mit elektronischem Display. »Vor dem Bett ist die Strahlung am größten.«
Cain drückte gegen den Holzrahmen und schob das Gestell mühelos auf die Seite. Darunter erkannten sie beide ein Loch im Holzboden. Die Latte zum Abdecken lag noch daneben.
»Alles klar, hier hat er den Kelch also aufbewahrt.« Cris hielt den Sensor über die verschiedenfarbigen Kristalle, die in einer offenen Kiste lagen. »Die Reststrahlung ist enorm. Die Steine hätten kaum mehr Energie aufnehmen können. Sie sind verbraucht.«
»Thorne hat bestimmt neue, wo auch immer er gerade ist«, meinte Cain.
»Schon seltsam, dass sich ausgerechnet der Mann, der unser ganzes System programmiert hat, gegen uns stellt. Ob er das von Anfang an geplant hat?«, sagte Crispin mehr zu sich selbst und ging wieder in den Wohnraum.
Cain kratzte sich nachdenklich an der Wange, wobei er bemerkte, dass er in all der Eile vergessen hatte, sich zu rasieren. »Ich seh mich noch mal im Badezimmer um«, rief er durch die Tür Crispin zu und verschwand im angrenzenden Raum. Dort gab es nur eine einfache Dusche, ein Waschbecken und einen schmalen Schrank. Am Boden lag ein zerknittertes Handtuch, auf der Ablage unter dem Spiegel ein Nassrasierer.
Während Cain sein müdes Gesicht und den Dreitagebart inspizierte, hörte er gedämpft, wie sich Crispin mit Claudio am Handy unterhielt. »Die kommen sicher nicht mehr zurück«, sagte Cris, dennoch gab er ihrem Kollegen die Order, hier jemanden zu postieren, der ein Auge auf die Hütte warf.
»Mann, sehe ich fertig aus«, murmelte Cain, schob es jedoch darauf, dass er sich seit über zwei Tagen nicht mehr rasiert hatte, und ließ einen gleißenden Energiestrahl in seiner Hand erscheinen. Als er ihn zum Gesicht hob, meldete sich wieder das pochende Stechen in seiner Schulter, das ihn verfolgte, seit ihn der vergiftete Bolzen getroffen hatte. An Schmerzen war Cain definitiv nicht mehr gewöhnt, zumindest nicht an lang anhaltende, was wiederum an seiner Gemütsverfassung zerrte. Er hoffte, dass sein Körper bald wieder ganz der alte war, auch was seine Libido betraf. Besser gar keinen Sex, als der ewige Wunsch danach und die Qualen, seine Lust zu unterdrücken. Er durfte sich ja nicht einmal selbst Erleichterung verschaffen!
Er fuhr mit dem Lichtbalken über seine Wangen, als wäre er ein Messer. Da er sein Rasierzeug nicht dabei hatte, musste er sich eben damit behelfen. Er würde bestimmt nicht den von Thorne benutzen. Der Bart musste ab, denn seine Haut fing schon an zu jucken. Überhaupt kam er sich in den letzten Stunden überaus empfindlich vor, denn normalerweise störte ihn nichts so schnell. Außerdem machte er sich zum ersten Mal als Engel Gedanken, ob er auf Frauen attraktiv wirkte.
Das war alles gar nicht gut. Cain deutete das als schlechtes Omen.
»Du bist schon schön, Sonnenschein«, hörte er plötzlich Rajas spöttische Stimme und schnitt sich prompt an seinem Blitz.
»Verdammt!« Cain wirbelte um die eigene Achse. Die Dämonin stand grinsend in der Duschkabine, die Arme vor ihrer Brust verschränkt. Sie musste dort ein Portal geöffnet haben, denn Cain roch noch den Hauch von Ozon. Er hatte ihr Kommen nicht bemerkt und auch sein Detektor hatte keinen Alarm geschlagen.
Als Cain fühlte, wie ein warmes Rinnsal an seiner Wange herablief, wurden Rajas Augen groß. Lag da etwa Fürsorge in ihrem Blick?
Ohne Vorwarnung stürzte sie auf ihn zu. Aus einem Reflex heraus ließ Cain den Blitz verschwinden, ansonsten wäre Raja direkt in ihn hineingerannt. War sie denn plötzlich lebensmüde?
Sie schien jedoch nur Augen für sein Gesicht zu haben. »Lass mal sehen.«
Cain spürte, wie sich die Wunde bereits schloss, aber langsamer als gewöhnlich, was bestimmt an diesem verdammten Giftpfeil lag. Als Raja jedoch ihre Handflächen über seine Wange gleiten ließ, fühlte er eine wohltuende Wärme und hörte ein Knistern.
Hastig wich er vor ihr zurück, um in den Spiegel zu sehen. Seine Bartstoppeln waren alle weg.
Verwundert strich sich Cain über die glatte Haut. Seine Wunde war ebenfalls komplett verheilt. Auch Raja hatte es bemerkt. Mit aufgerissenen Augen drehte sie ihn an der Schulter herum und stammelte: »Ich hatte ja k-keine Ahnung …«
»Dass du auch Gutes wirken kannst?«, vervollständigte Cain, selbst überrascht. »Liegt wohl an deinen Elfengenen.«
Sie stellte sich dicht vor ihn, viel zu dicht, und hauchte an sein Kinn:
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