Engelsmorgen
einer verkehrt herum aufgesetzten Dodgers-Kappe (Miles), Wollsocken mit eingestrickten Zehen, damit man auch bei Kälte immer noch Flipflops anziehen konnte (Shelby) und einem flauen Gefühl im Magen, was bei einem Zusammentreffen von Roland mit ihren neuen Freunden wohl herauskommen würde (Luce) zum Kliff unterwegs.
»Und wer ist das noch mal?«, fragte Miles und deutete gerade noch rechtzeitig auf eine Unebenheit, bevor Luce stolperte.
»Roland? Ich … ich kenne ihn von der letzten Schule, an der ich war.« Luce überlegte, wie sie ihr Verhältnis zu Roland am besten beschreiben konnte. Hintereinander stiegen sie die steilen Stufen zum Strand hinunter. Er war nicht wirklich ein Freund. Und obwohl die Schüler hier in Shoreline alle ziemlich aufgeschlossen wirkten, war sie sich nicht sicher, ob sie ihnen wirklich erzählen sollte, für welche Seite der gefallenen Engel sich Roland entschieden hatte. »Er war dort mit Daniel befreundet«, sagte sie schließlich. »Wahrscheinlich wird es eine ziemlich kleine Party. Ich glaub nicht, dass er außer mir hier jemanden kennt.«
Bevor es zu sehen war, konnten sie es bereits riechen. Das Lagerfeuer am Strand. Nach dem vielen Rauch zu urteilen, musste das Feuer ziemlich groß sein. Es roch nach Hickoryholz. Ein merkwürdiges Grollen lag in der Luft. Als sie fast am Fuß des Felsens angelangt waren, bog der Pfad um einen Vorsprung – und dann blieben sie alle drei überrascht stehen. Vor ihnen loderte ein riesengroßes Feuer in den Himmel.
Ungefähr hundert Leute hatten sich am Strand versammelt.
Es blies ein heftiger Wind. Wie ein wildes Tier, dachte Luce. Aber verglichen mit den ausgelassenen Partygästen, wirkte die Brise ausgesprochen zahm. Nicht weit von Luce stand eine Gruppe von Hippies mit langen Bärten und in handgewebten Klamotten. Sie hatten mit ihren Trommeln einen Kreis gebildet. Zum ständig wechselnden Rhythmus ihrer unbändigen Schläge tanzte ein Stück weiter vorne eine Gruppe Jugendlicher. Am hinteren Ende des Sandstreifens brannte das Lagerfeuer, um das sich die meisten anderen drängten. Wahrscheinlich froren sie genauso wie Luce. Stöcke wurden über die Flammen gehalten, an denen Hotdogs und Marshmallows aufgespießt waren. Luce hatte keine Ahnung, wie alle so schnell von der Party erfahren hatten, aber offensichtlich schienen sie miteinander einen Riesenspaß zu haben.
Und in der Mitte von all dem Trubel: Roland. Nicht länger im gebügelten blau-weiß gestreiften Hemd und mit teuren Lederschuhen an den Füßen, sondern genauso angezogen wie alle anderen, in Kapuzenshirt und abgewetzter Jeans. Er stand auf einem Felsen, gestikulierte wild herum und erzählte offensichtlich irgendeine Geschichte. Dawn und Jasmine waren auch unter den Zuhörern. Gebannt lauschten sie ihm. Im Widerschein der Flammen konnte Luce ihre geröteten Gesichter erkennen.
»So was nennst du eine kleine Party?«, fragte Miles.
Luce beobachtete Roland und fragte sich, was für eine Geschichte er da wohl erzählte. Die ganze Veranstaltung – was er in so kurzer Zeit alles organisiert hatte – erinnerte sie an die Party in Cams Zimmer, die einzige richtige Party, die sie in Sword & Cross erlebt hatte. Sie spürte wieder, wie sehr sie Arriane vermisste. Und natürlich Penn, die damals zuerst gar nicht mitwollte und sich dann von allen am meisten amüsiert hatte. Und sie sehnte sich nach Daniel. Daniel, der mit ihr anfangs kaum ein Wort gewechselt hatte. So vieles hatte sich seither verändert.
»Ich weiß nicht, was ihr beide vorhabt«, sagte Shelby. »Aber ich hol mir jetzt erst was zum Trinken und dann einen Hotdog, und danach lass ich mir vielleicht mal zeigen, wie das mit dem Trommeln geht.«
»Ich komm mit«, sagte Miles. »Nur das mit den Trommlern, das interessiert mich nicht so.«
Sie stapften beide durch den Sand zum Tisch mit den Hotdogs.
»Luce!« Roland winkte ihr zu. »Da bist du ja!« Er war mit seiner Geschichte fertig, sprang vom Felsen herunter und begrüßte sie.
»Hätte ich mir ja denken können, Roland. Wenn du sagst, dass die Leute dich gleich richtig kennenlernen sollen, kann dabei nicht einfach nur irgendwas rauskommen.«
Roland grinste. »Nicht einfach nur irgendwas, sagst du? Aber meinst du das nun positiv oder negativ? Gut oder böse?«
Die Frage war alles andere als harmlos gemeint, und die ehrliche Antwort von Luce darauf hätte gelautet, dass sie es nicht mehr wusste. Sie wusste nicht mehr, was gut und böse war. Sie dachte an die
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