Engelsnacht
Grundschule, dann hätte sie diesen Ort sicherlich als Sakrileg empfunden.
Ein paar Schüler waren bereits im Wasser und schwammen
zügig ihre Bahnen, regelmäßig tauchten sie mit den Köpfen auf und wieder unter. Dann wanderten Luces Blicke zum Beckenrand. Was sich dort abspielte, schien viel interessanter zu sein. Molly, Roland und Arriane saßen auf den Bänken herum und schienen irgendetwas wahnsinnig lustig zu finden. Roland krümmte sich geradezu vor Lachen und Arriane wischte sich die Tränen aus den Augen. Keiner von ihnen machte Anstalten, sich ins Wasser zu begeben.
Luce zupfte an ihrem Badeanzug. Sie wollte gerne zu Arriane und sich der Gruppe anschließen - doch während sie noch überlegte, welche Gründe dafür (mögliche Zugehörigkeit zum Elitekreis) und welche dagegen (Trainer Diante könnte den Eindruck gewinnen, sie wollte sich um das Schwimmen drücken) sprachen, schlenderte Gabbe zu den Dreien hinüber. Als wäre sie bereits bestens mit ihnen befreundet. Sie setzte sich neben Arriane und lachte sofort mit. Egal was für einen Witz sie da gerade machten, Gabbe hatte ihn schon verstanden.
»Sie bleiben trotz aller Ermahnungen immer draußen sitzen«, erklärte Penn nach einem Blick auf das Trio. »Keine Ahnung, wie sie es schaffen, ungeschoren davonzukommen.«
Luce druckste am Beckenrand herum und war zu abgelenkt, um der Trainerin zuzuhören. Wenn sie Gabbe und die drei anderen da so sah, lässig auf den Bänken lungernd, wünschte sie sich, Cam wäre hier. Sie stellte sich vor, wie er in einer eng anliegenden schwarzen Badehose dort drüben stand und sie mit seinem breiten Lächeln zu sich und den anderen herüberwinkte. Wie willkommen sie sich dann gefühlt hätte. Wie wichtig.
Luce verspürte plötzlich das dringende Bedürfnis, sich bei Cam zu entschuldigen, dass sie so früh von seiner Party verschwunden
war. Was seltsam war - schließlich waren sie nicht zusammen, warum also sollte sie ihm über ihr Kommen und Gehen Rechenschaft ablegen. Gleichzeitig aber mochte sie es, wenn er ihr seine Aufmerksamkeit schenkte. Sie mochte es, wie er roch - ein Geruch, wie wenn man mit offenen Fenstern durch die Nacht fuhr, sie fühlte sich dabei frei und ungebunden. Sie mochte es, wie er sich ihr ganz zuwandte, wenn sie miteinander sprachen, als hätte er nur Augen und Ohren für sie. Sie hatte sogar gemocht, wie er sie auf der Party umarmt und hochgehoben hatte, vor Daniel und allen anderen. Sie wollte nicht, dass Cam sich aus irgendeinem Grund auf einmal anders zu ihr verhielt.
Als die Trainerin auf ihrer Trillerpfeife pfiff, stand Luce verwirrt auf und bemerkte im selben Augenblick, wie Penn und die anderen einen Kopfsprung ins Wasser machten. Sie blickte hilfesuchend zu Trainer Diante.
»Du musst Lucinda Price sein - hört nie zu und immer zu spät dran.« Die Lehrerin seufzte. »Randy hat mir von dir erzählt. Acht Bahnen, den Schwimmstil kannst du dir aussuchen.«
Luce nickte und stellte sich vorne an den Beckenrand. Sie war früher sehr gerne geschwommen. Als ihr Vater ihr damals im Schwimmbad von Thunderbolt das Schwimmen beibrachte, hatte sie sogar einen Preis bekommen - als jüngstes Kind, das jemals ohne Schwimmflügel fünfzig Meter geschafft hatte. Aber das war viele Jahre her. Luce konnte sich nicht einmal daran erinnern, wann sie das letzte Mal geschwommen war. Das beheizte Schwimmbecken in der Sportanlage von Dover hatte immer verführerisch geglitzert - aber es war den Mitgliedern des Schwimmteams vorbehalten gewesen.
Trainer Diante räusperte sich. »Vielleicht hast du nicht
begriffen, dass das ein Wettkampf ist … und die Zeit läuft bereits.«
Es war der lächerlichste Wettkampf, den Luce je gesehen hatte, trotzdem war ihr Ehrgeiz geweckt.
»Die Zeit läuft … und du bist schon weit im Rückstand«, sagte die Trainerin.
»Nicht mehr lange«, antwortete Luce.
Sie musterte kurz die Konkurrenz im Becken. Der Junge auf der Bahn links von ihr musste nach jedem Schwimmzug Wasser spucken und strampelte unbeholfen. Rechts von ihr paddelte Penn langsam dahin, unter ihren Bauch hatte sie ein rosa Schwimmbrett geschoben. Für den Bruchteil einer Sekunde blickte Luce hinüber zu der Clique auf den Bänken. Molly und Roland sahen den Schwimmern zu. Arriane und Gabbe konnten sich beide vor lauter Kichern nicht mehr halten.
Aber es war Luce jetzt egal, worüber sie lachten. Fast egal. Sie war gestartet.
Die Arme rechts und links über den Kopf gebogen, tauchte Luce immer wieder ein
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