Engelsrache: Thriller
Worte beschämten mich. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte.
»Wann hat Angel dir erzählt, was damals wirklich passiert ist?«, fragte sie.
»Kurz bevor ich nach Hause gekommen bin.«
»Habe ich mir schon gedacht. Ihr Geständnis hat das alles in dir in Bewegung gebracht, hat dir wieder in aller Drastik vor Augen geführt, was deiner Schwester damals widerfahren ist. Wenn man bedenkt, was du in letzter Zeit sonst noch alles durchgemacht hast, braucht man sich über deine Reaktion eigentlich nicht zu wundern. Ich bin nur froh, dass dir nichts passiert ist.«
Ja, das war ich auch.
»Das schaffst du schon«, sagte Caroline. »So schnell bist du nicht kleinzukriegen. Du bist der stärkste Mann, den ich kenne.«
Caroline stand auf, ging zu der Tür, die in die Garage führte, und machte sie auf.
»Da ist noch jemand, der dich liebt«, sagte sie.
Rio kam hereingetrottet, sah mich und blieb abrupt stehen.
»Komm her, Junge«, sagte ich. Er spitzte die Ohren und fing an, mit dem Schwanz zu wedeln. »Komm schon. Du darfst mir sogar auf den Schuh pinkeln.«
25. Juli
11:00 Uhr
Zum ersten Mal seit einer halben Ewigkeit schlief ich gut. Weder geriet ich im Dschungel in einen Hinterhalt, noch träumte ich von Vergewaltigungen, Morden oder toten Kindern im Dickicht des Regenwaldes, von reißenden Strömen oder von gurgelnden Wasserfällen.
Als ich aufwachte, lag ein betörender Kaffeeduft in der Luft, und Regen prasselte auf das Dach. Ich ging in die Küche und sah aus dem Fenster. Der Himmel hing tief und war schiefergrau. Über dem See lag ein dünner Dunstschleier. Draußen ging ein warmer reinigender Sommerregen nieder.
Caroline war schon in der Küche. Sie trug nur einen BH und eine knielange Hose. Als sie mich umarmte, hob ich sie hoch und trug sie ins Schlafzimmer. Eine halbe Stunde später lagen wir wohlig erschöpft auf dem Bett.
»Was hast du heute vor?«, fragte sie.
»Nachdenken«, sagte ich. »Ich muss mir überlegen, welche Strategie für Angel am besten ist.«
»Und welche Optionen hast du?«
»Ich könnte zum Beispiel zu Deacon gehen und sagen, dass wir es uns anders überlegt haben und doch noch mit ihm zu einer Absprache kommen möchten. Aber wenn ich das tue, weiß er sofort, dass Angel Tester umgebracht hat, und wird mich gehörig unter Druck setzen. Wahrscheinlich bietet er mir zwanzig Jahre an. Die zweite Option wäre, Angel am kommenden Montag einfach in den Zeugenstand zu rufen. Wenn sie dann die Wahrheit sagt, kann ich auf Notwehr plädieren oder auf eine Affekthandlung, weil der Kerl sie sodomiert hat.«
»Und was könnte dann schlimmstenfalls passieren?«
»Dass man ihr nicht glaubt und sie trotzdem wegen Mordes verurteilt. Das heißt, lebenslänglich. Die Todesstrafe hat sie unter diesen Umständen wohl nicht zu befürchten. Vielleicht würde sie sogar mit Totschlag davonkommen. Das wären dann mindestens fünfzehn Jahre. Wenn das Gericht ihr mildernde Umstände zugutehält, könnte es für sie aber auch auf eine Bewährungsstrafe hinauslaufen. Aber darauf lässt sich Richter Green vermutlich nicht ein«, sagte ich. »Für ein psychiatrisches Gutachten ist es allerdings zu spät, wenn ich sie jetzt in den Zeugenstand rufe. Tom Short hätte uns sicher geholfen, wenn Angel mir von Anfang an reinen Wein eingeschenkt hätte. Aber in diesem Verfahrensstadium lehnt Richter Green ein medizinisches Gutachten sicher ab. Außerdem hat die Staatsanwaltschaft das Recht, einen eigenen Sachverständigen zu benennen, und kann Einblick in Tom Shorts Berichte verlangen. Ich habe denen die Berichte bisher nicht gezeigt, weil ich sie eigentlich nicht mehr verwenden wollte.«
»Und was gibt es sonst noch für Alternativen?«
»Angel könnte vor Gericht aussagen, dass sie unschuldig ist. Falls sie das tut, kann ich sie nicht mehr aktiv verteidigen. Wenn sie nämlich im Zeugenstand lügt und ich weiß, dass sie lügt, darf ich sie weder befragen noch ein Schlussplädoyer zu ihren Gunsten halten. Das werden die Geschworenen sehr rasch spitzkriegen. Wenn Sie also lügt und ich sie trotzdem weiter verteidige, ist das Anstiftung zur eidlichen Falschaussage, und ich könnte selbst im Knast landen.«
»Aber das kannst du doch nicht machen«, sagte Caroline.
»Nein, das kann ich wirklich nicht, und das werde ich auch nicht tun. Wenn ich allerdings wüsste, dass ich damit durchkomme, würde ich es auf jeden Fall machen. Der Kerl hat sie zum Analverkehr gezwungen, Caroline. Er hat sie fast bewusstlos
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