Engelsrache: Thriller
einen Mandanten, der wegen eines Drogendelikts angeklagt war. Als ich nach der Verhandlung in den Wagen stieg, um wieder nach Johnson City zu fahren, entdeckte ich auf meinem Handy eine SMS von Caroline. »Bitte rufe mich an. Dringend!« hatte sie geschrieben.
Caroline hatte seit zwei Jahren die Funktion meiner Sekretärin/Anwaltsgehilfin übernommen, genau genommen, seit klar war, dass ich meinen Job als Anwalt demnächst an den Nagel hängen wollte. Seit diese Entscheidung gefallen war, übernahm ich nicht mehr so viele Mandate und musste deshalb an die Kosten denken. Da Caroline in ihrem Tanzstudio nur abends Unterricht gab, hatte sie tagsüber Zeit, das eine oder andere für mich zu erledigen. Zwei Jahre zuvor war der Mietvertrag für meine Kanzleiräume in der Innenstadt ausgelaufen. Deshalb hatte ich meiner Sekretärin in einer anderen Kanzlei einen Job besorgt und mein Büro zu Hause eingerichtet. So konnte ich im Jahr fast sechzigtausend Dollar sparen. Ihre Zulassung als Anwaltsgehilfin hatte Caroline in einem Online-Kurs erworben. Die nötigen Kenntnisse hatte sie sich rasch angeeignet. Allerdings hatte ich in der Stadt noch ein kleines Besprechungszimmer, wo ich meine Mandanten empfing. Der Raum kostete jedoch nur zweihundert Dollar im Monat.
»Was gibt’s?«, fragte ich, als sie sich meldete.
»Klingt recht interessant«, sagte sie. »Heute Morgen hat eine gewisse Erlene Barlowe angerufen. Die Frau war völlig außer sich. Sie sagt, die Polizei ist bei ihr zu Hause gewesen und hat eine junge Frau verhaftet, die bei ihr wohnt. Das Mädchen soll angeblich in einen Mord verwickelt sein. Jedenfalls braucht sie sofort einen Anwalt. Sie hat mehrmals betont, dass das Mädchen ganz sicher nichts mit der Sache zu tun hat.«
Natürlich.
»Sie will dich unbedingt sprechen. So einen Fall hast du schon lange nicht mehr gehabt. Ich meine, dass dich jemand in einer Mordsache privat engagiert.«
»Stimmt. Der letzte Fall dieser Art war die Mordanklage gegen Billy Dockery. Damals hat die Mutter mein Honorar gezahlt.« Ich hatte nie jemandem von Billys Geständnis erzählt, nicht einmal Caroline.
»Da ist doch damals richtig Geld rübergekommen, wenn ich mich recht entsinne.«
»Kann man wohl sagen. Fünfzigtausend.«
»Wir könnten die Kohle verdammt gut gebrauchen.«
»Ich dachte, dass wir ganz gut dastehen.«
»Tun wir ja auch. Trotzdem dürfen wir uns so ein Mandat natürlich nicht entgehen lassen. Könnte ’ne Menge Geld drin sein. Es geht um diesen Prediger, den man ermordet in seinem Motelzimmer gefunden hat.«
»Aber ich möchte keinen Mordfall mehr übernehmen, Caroline, selbst wenn die Sache noch so spektakulär ist. Das kann doch wieder Jahre dauern.«
»Deswegen habe ich mit der Frau gar nicht erst einen Termin vereinbart.« Sie klang enttäuscht.
Ich dachte einen Augenblick nach. Dann siegte meine Neugier.
»Ach, was soll’s. Ich kann ja mal mit ihr reden. Ruf sie an, und sage ihr, dass ich sie um dreizehn Uhr in der Stadt erwarte.«
Für den Rückweg nach Johnson City brauchte ich eine Stunde. Ich aß in einem kleinen Café in der Nähe meiner Behelfskanzlei schnell zu Mittag und betrat um zehn vor eins mein Besprechungszimmer. Dort saß bereits eine Frau am Tisch und wartete auf mich. Als ich hereinkam, stand sie auf. Im ersten Augenblick war ich einigermaßen verblüfft über den Anblick, den sie bot. Die Frau trug eine hautenge Hose und ein orange-schwarz-getigertes Top, das ihre mächtigen Brüste kaum verbarg. Ihr Haar war in einem Rotton gefärbt, den ich noch nie gesehen hatte – weder auf dem Kopf einer Frau noch sonstwo.
»Joe Dillard«, sagte ich und reichte ihr die Hand. Ihre Fingernägel waren mindestens zwei Zentimeter lang und in dem gleichen Muster lackiert wie ihr Top.
»Erlene Barlowe. Sie sehen ja in Wirklichkeit noch besser aus als im Fernsehen.« Sie sah mich lächelnd an. Als ich ihr in die Augen blickte, stellte ich fest, dass sie trotz ihrer merkwürdigen Aufmachung eine verdammt attraktive Frau war. Ich ging um den Tisch herum und setzte mich auf meinen Stuhl.
»Was kann ich für Sie tun, Ms Barlowe?«
»Oh, mein Lieber, ich habe da ein ganz furchtbares Pro-blem. Einfach grauenhaft. Die Polizei hat eine junge Frau, mit der ich sehr eng befreundet bin, wegen eines Verbrechens verhaftet, das sie nicht begangen hat.«
»Eine enge Freundin?«
»Mehr eine Art Tochter. Ich habe das Mädchen ungefähr vor einem Monat zu mir ins Haus genommen.«
»Am besten, Sie
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