Engelsrache: Thriller
fangen von vorn an, Ms Barlowe, und sagen mir alles, was Sie mir anvertrauen möchten.«
»Bitte, nennen Sie mich doch Erlene. Also, ich bin die Besitzerin des Mouse’s-Tail-Herrenclubs. Früher haben mein Mann und ich den Laden gemeinsam geführt, aber letztes Jahr ist er verstorben. Seither führe ich den Club allein. Ich glaube nicht, dass ich Sie schon mal bei uns gesehen habe.«
Ich fing an zu lachen. »Nein, das Vergnügen hatte ich bislang noch nicht. Ich habe aber schon eine Menge von Ihrem Club gehört.«
»Das überrascht mich nicht. Immerhin gehören etliche Anwälte zu unseren Stammgästen. Und auch ein paar Richter.«
Hätte mich mal interessiert, welche Richter sie meinte. Ich wollte sie schon fragen, überlegte es mir dann aber anders. Konnte mir doch egal sein. Ich wollte ja ohnehin bald aufhören.
»Und was ist nun mit Ihrer Freundin.«
»Sie haben doch sicher schon von dem Pastor aus Newport gehört, den man vor einigen Tagen tot in seinem Motelzimmer gefunden hat.«
»Von der Geschichte hat inzwischen wohl jeder gehört.«
»Und jetzt hat die Polizei meine Freundin verhaftet, Mr Dillard. Aber sie ist es nicht gewesen. Darauf schwöre ich jeden Eid. Deshalb möchte ich, dass Sie das Mädchen anwaltlich vertreten.«
»Woher wissen Sie denn, dass Ihre Freundin die Tat nicht begangen hat?«
»Weil ich die ganze Nacht mit ihr zusammen war. Ich habe sie selbst nach dem Ende ihrer Schicht nach Hause gefahren. Sie wohnt ja bei mir, und sie ist nicht mehr weggegangen. Das Mädchen kann es gar nicht gewesen sein. Außerdem ist sie das süßeste, netteste kleine Ding, das Sie sich nur vorstellen können. Die würde nicht mal einen Käfer zertreten, geschweige denn einen Menschen umbringen.«
Erlene Barlowe sprach den schweren Singsang der Südstaatlerin und war außerordentlich liebenswürdig. Außerdem war sie trotz ihrer merkwürdigen Kostümierung sehr attraktiv, was die Unterhaltung mit ihr umso angenehmer machte. Ein paar Mal hatte ich den Eindruck, dass Erlene etwas zu verbergen hatte. Trotzdem – oder vielleicht auch gerade deshalb – hatte sie etwas Faszinierendes an sich.
Nachdem wir eine halbe Stunde gesprochen hatten, sah ich meine Notizen durch. Die junge Frau, die ich vertreten sollte, hieß Angel Christian. Das Mädchen war vor gut einem Monat zusammen mit einer Tänzerin namens Julie Hayes mit dem Bus in Johnson City angekommen. Erlene hatte Angel angeblich bei sich zu Hause aufgenommen, weil das Mädchen sie an die Tochter ihres verstorbenen Ehemanns erinnerte, die tödlich mit dem Auto verunglückt war. Ja, sie schien sogar zu glauben, dass Angel die Inkarnation der verstorbenen Tochter war. Angeblich war Angel von zu Hause weggelaufen, weil ihr Adoptivvater sie jahrelang missbraucht hatte. Und dann hatte Erlene noch Angels Hände erwähnt.
Es gab da einige Punkte, die mich etwas beunruhigten. Erlene hatte mir gestanden, dass sie den TBI-Beamten Phil Landers anfangs belogen hatte. Hinzu kam, dass Angel Christian nicht der richtige Name des Mädchens war. Die Polizei hatte im Übrigen inzwischen von einem Richter die Vollmacht erhalten, von Angel – oder wie das Mädchen hieß – und von Erlene selbst eine Haarprobe zu nehmen. Das wiederum bedeutete: Die Polizei hatte vermutlich schon DNS-Spuren gesichert, und diese Beweismittel gingen meist zu Lasten des Tatverdächtigen. Obendrein musste die Polizei einen, wenn nicht mehrere Zeugen haben oder zumindest handfeste Beweise, sonst hätte kein Richter eine solche Vollmacht unterschrieben. Und dann hatte Erlene noch gesagt, dass die Polizei nach einer verschwundenen Corvette suchte.
Erlene ließ jedoch keinerlei Zweifel an der Unschuld des Mädchens aufkommen, und falls sie die Wahrheit sagte, hatte Angel weder ein Motiv noch überhaupt die Gelegenheit gehabt, einen Mord zu begehen. Obwohl die Sache recht interessant klang, hatte ich eigentlich keine Lust darauf, mich auf eine langwierige gerichtliche Auseinandersetzung einzulassen. Ich wollte weder Erlenes Zeit länger in Anspruch nehmen, noch ihr Ansinnen rundheraus ablehnen. Daher beschloss ich, die Latte so hoch zu legen, dass sie entweder nicht willens oder finanziell nicht imstande sein würde, darüber hinwegzuspringen.
»Erlene, haben Sie eigentlich eine Vorstellung davon, welche Kosten auf Sie zukommen, wenn ich dieses Mandat übernehme? Ein Mordprozess. Im Radio haben sie sogar was von der Todesstrafe gesagt. Außerdem werden wir an einer Hauptverhandlung kaum
Weitere Kostenlose Bücher