Engelsrache: Thriller

hielt kurz inne. »Weil man mir vorwirft, einen Mord begangen zu haben.«
    Sie stützte die Ellbogen auf den Tisch und fing leise an zu weinen. Ich hatte schon Hunderte von Mandanten weinen sehen, Männer wie Frauen. Meist ließen mich die Tränen meiner Mandanten ziemlich kalt. Doch als ich dieses schöne junge Mädchen weinen sah, war ich gerührt. Ich stand auf und klopfte an die Tür, die sofort von einem Aufseher geöffnet wurde.
    »Haben Sie vielleicht ein Kleenex da?«, fragte ich.
    Der Aufseher blickte über meine Schulter in Angels Richtung und sah mich dann finster an. »Was haben Sie mit ihr gemacht?«
    »Gar nichts. Haben Sie nun ein paar Kleenex oder nicht?«
    »Augenblick. Ich schaue mal nach.«
    Der Mann verschwand kurz. Dann kehrte er mit einer Rolle Toilettenpapier zurück und überreichte sie mir mit einem weiteren finsteren Blick. Ich machte die Tür hinter ihm zu und gab Angel die Rolle.
    »Mehr kann ich leider im Augenblick nicht für Sie tun.«
    »Danke«, sagte sie. »Tut mir leid, dass ich hier anfange zu flennen.«
    »Keine Ursache. Das bin ich gewöhnt.«
    »Ich kann das alles immer noch nicht glauben«, sagte sie schluchzend. »Muss ich wirklich hierbleiben? Ich möchte so gerne wieder nach Hause.«
    »Tut mir leid, aber ich fürchte, dass Sie es noch eine ganze Weile hier aushalten müssen. Würden Sie mir jetzt vielleicht berichten, was genau passiert ist?«
    »Nichts ist passiert.« Sie schniefte und putzte sich die Nase.
    »Soll das heißen, dass Sie mit dem Mord an Reverend Tester absolut gar nichts zu tun haben?«
    »Nein, ich habe den Mann nicht umgebracht. Ich habe ihm nichts getan.«
    »Haben Sie ihn denn gekannt?«
    »Bevor er an diesem Abend in den Club gekommen ist, habe ich ihn noch nie gesehen. Ich habe an dem Abend im Service gearbeitet. Er gehörte zu meinen Gästen.«
    »Können Sie das mal genauer schildern?«
    Sie biss sich auf die Unterlippe und dachte kurz nach. »Der Mann hat einen doppelten Scotch auf Eis bestellt und mich sofort angemacht. Ein paar Mal hat er sogar durch den ganzen Raum nach mir gerufen und sich beschwert. Außerdem hat er wahnsinnig viel getrunken. Dann hat er irgendwann angefangen, mit Bibelzitaten um sich zu werfen, und sich wie ein totaler Idiot benommen. Jedes Mal, wenn ich an seinen Tisch gekommen bin, hat er sich an mich gedrängt. Später hat er sogar versucht, mich zu küssen, und wollte, dass ich mitgehe. Irgendwann sind Erlene und Ronnie dann zu ihm gegangen und haben ihn aufgefordert, den Club zu verlassen.«
    »Ist das alles? Dann haben Sie ihn also nicht mehr gesehen, seit er den Club verlassen hat? Und als er zur Tür hinausgegangen ist, war er noch wohlauf?«
    »Aber sicher doch. Das schwöre ich. Die beiden haben ihn vor die Tür gesetzt, und ich habe ihn seitdem nicht mehr gesehen. Ein paar Tage später ist dann plötzlich eine ganze Polizeieinheit in Ms Erlenes Haus erschienen. Ms Erlene hat mir eingebläut, dass ich nicht mit den Polizisten reden soll, also habe ich das auch nicht getan. Aber dann hat mir einer von den Polizisten ein Blatt Papier unter die Nase gehalten, und in dem Schreiben hieß es, dass ich ihm eine Haarprobe überlassen muss. Dann haben sie das ganze Haus auseinandergenommen. Heute Morgen sind sie dann wiedergekommen, haben mich in ein Auto gesetzt und hierhergebracht.«
    Während sie das alles erzählte, ging mir die ganze Zeit etwas im Kopf herum, was ich anfangs selbst nicht richtig begriff. Doch dann wusste ich plötzlich, was es war: Vor mir saß eine der schönsten jungen Frauen, die ich je gesehen hatte. Das Mädchen hatte eine so unglaublich attraktive Figur, dass ich unter normalen Bedingungen gewiss kaum einen klaren Gedanken hätte fassen können. Aber trotz ihres Superkörpers wirkte Angel auf mich völlig asexuell. Ja, ich hatte fast den Eindruck, dass ich mit einem Kind redete.
    »Hat der Polizeibeamte Ihnen bei Ihrer Festnahme irgendwelche Fragen gestellt?«, fragte ich.
    »Nachdem wir hier angekommen waren, hat er es versucht. Er hat mich in einen Raum wie den hier gebracht. Aber Ms Erlene hatte mir eingeschärft, nicht mit ihm zu sprechen. Deshalb habe ich nichts gesagt. Ich glaube, der Polizist ist ganz schön sauer auf mich.«
    Entweder waren Angel und Erlene die beiden größten Lügnerinnen, denen ich je begegnet war, oder aber die Polizei hatte einen kolossalen Fehler begangen. Ich hatte mit diesem Landers weiß Gott nichts am Hut – der Mann war ein verlogener Frauenaufreißer und ein