Engelsrache: Thriller
die Stufen zur Richterbank hinauf und nahm unmittelbar unter seinem eigenen Porträt in dem Lederstuhl mit der hohen Lehne Platz.
»Danke, Deputy Baines«, sagte er. »Bitte setzen.«
Wie alle anderen Anwesenden in dem Gerichtssaal setzte auch ich mich pflichtschuldigst wieder auf meinen Platz.
»Guten Morgen«, sagte Richter Green.
»Guten Morgen.« Fast alle Anwesenden erwiderten den Gruß wie gehorsame Schüler.
»Der erste Fall, mit dem wir uns heute befassen wollen, ist die Verlesung der Anklage des Staates Tennessee gegen Angel Christian.« Er blickte zum Tisch der Staatsanwaltschaft hinüber. »Wie ich sehe, beehrt uns der Bezirksstaatsanwalt heute höchstpersönlich mit seiner Anwesenheit. Welchem Umstand verdanken wir dieses seltene Vergnügen?«
Baker errötete und stand auf.
»In diesem Verfahren geht es um ein schweres Verbrechen, Euer Ehren. Deshalb bin ich gekommen, um dazu beizutragen, dass hier alles seinen geordneten Gang geht.«
»Und gewiss auch, um ein bisschen die Wahltrommel für sich zu rühren.« Baker war der Meinung, dass Richter Green Sexualstraftäter nicht hart genug bestrafte, und hatte sich auch gegenüber den örtlichen Medien in diesem Sinne geäußert. Außerdem hatte Baker bei den letzten Wahlen offen und aktiv den Gegner des Richters unterstützt. Zudem hatte er nie einen Hehl daraus gemacht, dass er Richter Green nicht ausstehen konnte. Green wiederum hatte offensichtlich Spaß daran, Baker, sooft es ging, zu schikanieren und zu demütigen. Ich hatte schon mehrmals miterlebt, dass die beiden fast handgreiflich geworden waren. Sie waren sich in tiefem Hass verbunden.
»Ich habe die Presse nicht eingeladen«, sagte Baker. »Vielmehr gehe ich davon aus, dass die Herrschaften schlicht ihr von der Verfassung garantiertes Recht in Anspruch nehmen.«
»Mag sein, dass Sie die Medien nicht ausdrücklich hergebeten haben, dafür haben Sie sich letzte Woche sehr ausführlich öffentlich über den Fall ausgelassen. Sie sind ja häufiger im Fernsehen zu sehen als die Law-&-Order- Folgen, die neuerdings wieder gezeigt werden.«
Baker ließ sich auf seinen Stuhl sinken und war anscheinend nicht willens oder fähig, dem Richter Paroli zu bieten. Dann wandte sich Richter Green in meine Richtung.
»Was machen Sie denn am Tisch der Verteidigung, Mr Dillard?«
»Ich bin der Rechtsbeistand der Angeklagten, Richter Green.« Ich wusste genau, dass er eigentlich wünschte, dass man ihn mit »Euer Ehren« ansprach.
»Hat die Angeklagte Sie engagiert?«
Was für eine dumme Frage. Trotzdem unterdrückte ich den Impuls, ihn öffentlich bloßzustellen.
»Ganz recht.«
Richter Green hob die Augenbrauen und sah mich vielsagend an. »Und was zahlt sie dir?«, schien sein Blick zu sagen. Dann richtete er seine Aufmerksamkeit auf den Wachtmeister, der direkt neben der Tür zur Gerichtszelle stand, und bellte: »Bringen Sie die Angeklagte herein.«
Der Beamte verschwand in dem Durchgang. Kaum eine Minute später erschien er mit der an den Füßen gefesselten Angel an seiner Seite wieder im Gerichtssaal. Alle Kameras waren plötzlich auf das Mädchen gerichtet. Im Gerichtssaal herrschte völlige Stille. Hinter dem Beamten und Angel gingen zwei Polizisten und K. D. Downs, der Sheriff von Washington County. Offenbar wollte sich niemand die Show entgehen lassen.
Der Beamte führte Angel behutsam zu dem Podest vor der Geschworenenbank. Bevor er sich wieder zurückzog, tätschelte er ihr noch einmal fürsorglich die Schulter. Angel wirkte müde, verängstigt und verwirrt und sah schlicht großartig aus. Ich ging zu ihr und blieb direkt neben dem Podest stehen.
Dann wandte sich Green in Tammy Lewis’ Richtung. »Zeigen Sie mal die Anklageschrift.«
Tammy reichte ihm das Dokument. Er überflog es kurz und gab es dann Wilkie Baines.
»Händigen Sie diese Schrift Mr Dillard aus, und lassen Sie im Protokoll vermerken, dass der Rechtsbeistand der Beklagten eine Kopie der Anklageschrift erhalten hat. Mr Dillard, Ihre Mandantin wird des heimtückischen Mordes und der Leichenschändung beschuldigt. Möchten Sie, dass die Anklage hier offiziell verlesen wird?«
»Nein, Richter Green.«
»Möchte Ihre Mandantin hier ein Geständnis ablegen, oder bekennt sie sich ›nicht schuldig‹.«
»Nicht schuldig.«
»Nun gut.« Der Richter sah Deacon Baker an. »Ich gehe mal davon aus, dass Sie den Antrag auf Verhängung der Todesstrafe bereits gestellt haben, Mr Baker?«
»Ja, das haben wir, Euer Ehren. Wir haben
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