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Engelsstimme

Engelsstimme

Titel: Engelsstimme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnaldur Indridason
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und Freunde hatte er jedenfalls keine in diesem Hotel besessen. Die Angestellten wussten auch nichts von irgendwelchen Freunden außerhalb des Hotels.
    Der reinste Kaspar Hauser, dachte Erlendur bei sich.
    »Niemand ist unentbehrlich«, sagte der Hotelmanager und spreizte das Würstchen wieder ab, als er aufs Neue zum Wein griff. »Natürlich ist es nie schön, Leute entlassen zu müssen, aber einen ganzjährigen Portier können wir uns einfach nicht leisten. Deswegen wurde ihm gekündigt. Aus keinem anderen Grund. Als Portier hatte er ja auch nicht so sonderlich viel zu tun. Er trug eine Livree, wenn Filmstars oder hohe Gäste aus dem Ausland kamen, und er warf Leute hinaus, die hier nichts zu suchen hatten.«
    »Wie hat er es aufgenommen, als er entlassen wurde?«
    »Er hatte Verständnis dafür, glaube ich.«
    »Fehlen hier in der Küche irgendwelche Messer?«, fragte Erlendur.
    »Ich weiß es nicht. Jedes Jahr gehen hier Messer und Gabeln und Gläser für zigtausend Kronen verloren. Auch Handtücher und … Glaubst du, dass er mit einem Messer aus dem Hotel erstochen worden ist?«
    »Ich weiß es nicht.«
    Erlendur schaute dem Hotelmanager beim Essen zu.
    »Er hat hier zwanzig Jahre gearbeitet, und keiner kannte ihn. Findest du das nicht etwas ungewöhnlich?«
    »Angestellte kommen und gehen«, sagte der Hotelmanager und zuckte mit den Achseln. »In dieser Branche herrscht eine ständige Fluktuation. Ich denke schon, dass die Leute von ihm gewusst haben, aber wer kennt heutzutage schon wen? Ich weiß es nicht. Ich kenne niemanden hier so gut.« »Du bist aber trotz der branchenüblichen Fluktuation hier kleben geblieben.«
    »Es ist schwierig, mich von der Stelle zu bewegen.«
    »Warum hast du gesagt, dass du ihn rauswerfen wolltest?« »Habe ich das gesagt?«
    »Ja.«
    »Das war nur so dahingesagt, ich habe nichts Besonderes damit gemeint.«
    »Aber du hattest ihn schon entlassen und wolltest ihn aus dem Zimmer werfen«, sagte Erlendur. »Dann kommt jemand daher und bringt ihn um. Er hat sich in letzter Zeit nicht gerade auf der Sonnenseite des Lebens befunden.«
    Der Hotelmanager tat, als sei Erlendur nicht anwesend, während er sich Kuchen und Mousse au Chocolat mit den eleganten Bewegungen eines routinierten Vielfraßes einverleibte und die Köstlichkeiten zu genießen versuchte.
    »Warum war er eigentlich noch nicht weg, wo du ihn doch entlassen hattest?«
    »Er hätte schon um die letzte Monatswende weg sein sollen. Ich habe ihm zugesetzt, aber nicht sehr. Hätte ich wahrscheinlich machen sollen. Dann wär uns dieser Mist erspart geblieben.«
    Erlendur betrachtete den Hotelmanager, der weiter aß, und schwieg. Vielleicht war es das Büfett. Vielleicht seine dunkle Wohnung. Vielleicht diese Jahreszeit. Das Fertigessen, das ihn erwartete. Die einsamen Weihnachtstage. Erlendur wusste es nicht. Die Frage brach gewissermaßen ohne sein Zutun aus ihm heraus.
    »Ein Zimmer?«, fragte der Hotelmanager, als hätte er nicht verstanden, was Erlendur gesagt hatte.
    »Es braucht nichts Besonderes zu sein«, sagte Erlendur.
    »Meinst du für dich?«
    »Ein Einzelzimmer«, sagte Erlendur. »Muss nicht mit Fernseher sein.«
    »Bei uns ist alles ausgebucht. Leider.« Der Hotelmanager starrte Erlendur an. Ihm war nicht daran gelegen, rund um die Uhr einen Kriminalbeamten um sich zu haben, einen, der ihm bei allem, was er tat, über die Schulter gucken konnte. »Der Empfangschef hat gesagt, es gäbe ein freies Zimmer«, log Erlendur und war noch entschlossener. »Er sagte, es wäre kein Problem, ich müsste nur mit dir reden.«
    Der Hotelmanager starrte ihn an und blickte dann auf die Mousse, die noch übrig war, und schob den Teller von sich weg. Ihm war der Appetit vergangen.
     
    Es war kalt in dem Zimmer. Erlendur stand am Hotelfenster und schaute hinaus, sah aber nichts als sein Spiegelbild in dem dunklen Glas. Er hatte schon eine ganze Zeit lang diesem Mann nicht mehr Auge in Auge gegenübergestanden, und er sah in der Dunkelheit, dass er gealtert war. Jenseits von ihm und ringsherum fielen Schneeflocken sanft zur Erde, als wären die Himmel zerbrochen, und ihr Staub rieselte über die Welt. Ihm fiel ein kleiner Gedichtband ein, den er besaß, wunderschöne Übersetzungen einiger Gedichte von Hölderlin. Sein Geist irrte ziellos durch die Gedichte, bis er bei einem Satz innehielt, der zu dem Mann passte, der ihm aus dem Fenster in die Augen schaute.
    Die Mauern stehn sprachlos und kalt, im Winde klirren die Fahnen

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