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Engelsstimme

Engelsstimme

Titel: Engelsstimme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnaldur Indridason
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Bettdecke über den Schultern, und ging auf den Mann zu.
    »Sie ist meine Tochter«, sagte er.
    »Ja, genau«, erklärte der Mann aus der Rezeption, als ginge ihn das nichts an.
    »Im Ernst«, sagte Eva Lind.
    Der Mann blickte sie abwechselnd an.
    »Ich will kein Theater«, sagte er.
    »Dann hau ab und lass uns in Ruhe«, sagte Eva Lind.
    Er stand da, schaute Eva Lind und Erlendur an, der mit dem Oberbett über den Schultern hinter ihr stand, und bewegte sich nicht vom Fleck.
    »Mit dem Heizkörper hier stimmt was nicht«, sagte Erlendur. »Der wird überhaupt nicht warm.«
    »Sie muss mit mir kommen«, erklärte der Mann.
    Eva Lind sah ihren Vater an und zuckte die Achseln.
    »Wir reden später miteinander«, sagte sie. »Ich hab keinen Bock, mich mit dem Typ hier anzulegen.«
    »Was hast du damit gemeint, dass du es nicht mehr durchhältst?«, sagte Erlendur.
    »Wir reden später«, sagte Eva Lind und ging zur Tür hinaus.
    Der Mann grinste Erlendur an.
    »Wirst du etwas wegen des Heizkörpers hier unternehmen?«, fragte Erlendur.
    »Ich werde es melden«, erwiderte er und machte die Tür zu.
    Erlendur setzte sich wieder auf die Bettkante. Eva Lind und Sindri Snær stammten aus einer misslungenen Ehe, die vor mehr als zwei Jahrzehnten auseinander gegangen war. Nach der Scheidung hatte Erlendur so gut wie keinen Kontakt zu seinen Kindern gehabt. Seine Ex-Frau hatte es so gewollt. Sie fühlte sich betrogen, und sie benutzte die Kinder, um sich an ihm zu rächen. Erlendur hatte sie gewähren lassen. Später bereute er es zutiefst, keinen Versuch mehr gemacht zu haben, um die Verbindung zu seinen Kindern aufrechtzuerhalten. Bereute es, Halldóra das alles überlassen zu haben. Als sie älter wurden, fanden sie von sich aus den Weg zu ihm. Da war Eva Lind schon drogenabhängig. Sein Sohn war Alkoholiker und hatte einige Entziehungskuren hinter sich.
    Ihm war klar, was Eva gemeint hatte, als sie erklärte, sie wüsste nicht, ob sie es durchhalten würde. Sie hatte keine Entzugstherapie mitgemacht. Hatte keine Institution aufgesucht, um Hilfe bei ihrem Problem zu bekommen, sondern den Kampf von sich aus und allein aufgenommen. Sie war schon immer verschlossen und schwierig gewesen und hatte sich quer gelegt, wenn die Rede auf ihre Lebensweise kam. Sie hatte es nicht geschafft, loszukommen, als sie schwanger wurde. Sie versuchte es und konnte zwischendurch mal eine Zeit aufhören, hatte aber nicht die Kraft, um ganz und gar damit aufzuhören. Versuchte es aber, und Erlendur wusste, dass es ihr ernst damit war, aber sie war zu labil und schaffte die Kurve nicht. Er wusste nicht, weswegen sie so abhängig von diesem Gift war, dass es wichtiger für sie war als alles andere im Leben. Er kannte nicht die Gründe für diese Zerstörung, wusste aber wohl, dass er sie auf eine gewisse Weise im Stich gelassen hatte. Dass er in irgendeiner Form auch die Schuld daran trug, wie es um sie stand.
     
    Er hatte im Krankenhaus an Eva Linds Bett gesessen, als sie im Koma lag, weil der Arzt ihm gesagt hatte, dass sie möglicherweise seine Stimme hören und vielleicht sogar seine Nähe spüren könnte. Einige Tage später war sie wieder zu Bewusstsein gekommen, und als Erstes hatte sie darum gebeten, ihren Vater zu sehen. Sie war so schwach gewesen, dass sie kaum sprechen konnte. Als er kam, schlief sie, und er setzte sich zu ihr und wartete darauf, dass sie aufwachte.
    Als sie endlich die Augen öffnete und ihn erblickte, war es, als würde sie versuchen zu lächeln, fing aber an zu weinen, und er stand auf und umarmte sie. Sie zitterte in seinen Armen, er versuchte, sie zu beruhigen, bettete sie wieder in die Kissen und wischte ihr die Tränen ab.
    »Wo bist du diese langen Tage gewesen?«, fragte er, streichelte ihr die Wangen und versuchte, aufmunternd zu lächeln.
    »Wo ist das Baby?«, fragte sie.
    »Haben sie dir nicht gesagt, was passiert ist?«
    »Ich habe es verloren. Sie haben mir aber nicht gesagt, wo es ist. Ich habe es nicht zu sehen bekommen. Sie trauen mir das nicht …«
    »Es hat nicht viel gefehlt, und ich hätte dich verloren.«
    »Wo ist es?«
    Erlendur hatte das tot geborene Kind im OP gesehen, ein Mädchen, das vielleicht den Namen Auður erhalten hätte. »Möchtest du das Kind sehen?«, fragte er.
    »Verzeih«, sagte Eva leise.
    »Was?«
    »Wie ich bin. Wie ich das Kind …«
    »Ich brauche dir nicht zu verzeihen, wie du bist, Eva. Du brauchst mich nicht um Verzeihung zu bitten dafür, wie du

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