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Engelsstimme

Engelsstimme

Titel: Engelsstimme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnaldur Indridason
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verspäteten Lunch bringen. Er musste sich noch einige Videoaufzeichnungen ansehen. Er legte eine Kassette ein und ließ sie durchlaufen, während er auf das Essen wartete.
    Er verlor bald die Konzentration. Im Geiste war er nicht bei dem Geschehen auf dem Bildschirm, sondern dachte über Stefanías Worte nach. Warum hatte Guðlaugur sich heimlich nachts in ihr Haus geschlichen? Er hatte seiner Schwester gesagt, dass er nach Hause wollte. Ich möchte bloß manchmal nach Hause. Was steckte hinter diesen Worten? Wusste seine Schwester das? Was bedeutete nach Hause für Guðlaugur? Was vermisste er? Er war kein Teil der Familie mehr, und diejenige, die ihm am nächsten gestanden hatte, seine Mutter, war schon lange tot. Er belästigte seinen Vater und seine Schwester nicht mit seinen Besuchen. Er kam nicht tagsüber wie normale Leute, falls es denn etwas wie normale Leute gab, um die Dinge ins Reine zu bringen, um das Zerwürfnis, den Zorn und den Hass in Angriff zu nehmen, die zwischen ihm und seiner Familie herrschten. Er kam mitten in der Nacht und achtete darauf, niemanden zu wecken, und schlich sich wieder hinaus, ohne dass jemand seiner gewahr wurde. Er schien nicht an Versöhnung und Vergebung interessiert zu sein, sondern an irgendetwas, was eine wichtigere Rolle für ihn zu spielen schien, etwas, wovon nur er wusste, was es war, was nie geklärt werden könnte und sich hinter diesen Worten verbarg. Nach Hause.
    Was war das?
    Vielleicht der Gedanke an seine Jugend im Haus seiner Eltern, bevor das Leben mit unbegreiflichen Verwicklungen und Schicksalsschlägen hereinbrach, die Zerstörung und Unglück hinterließen. Als er in diesem Haus herumlief in dem sicheren Bewusstsein, einen Vater, eine Mutter und eine Schwester zu haben, die bei ihm waren und ihn liebten. Er musste wohl in das Haus gekommen sein, um Erinnerungen nachzuhängen, die er nicht missen wollte, um sich an sie zu klammern, wenn das Leben ihm eine schwere Bürde war.
    Vielleicht war er in das Haus gekommen, um es mit dem Schicksal aufzunehmen, das ihm dort zuteil geworden war. Mit den unerbittlichen Anforderungen, die sein Vater an ihn stellte, mit den Hänseleien, die er über sich ergehen lassen musste, weil er als anders galt, mit der Liebe seiner Mutter, die ihm mehr bedeutete als alles andere, und mit der großen Schwester, die auch auf ihn aufpasste; mit dem Schock, als er nach dem Konzert aus dem Stadtkino nach Hause kam, nachdem seine Welt zusammengebrochen war und mit ihr die Hoffnungen seines Vaters. Was kann schlimmer für einen Jungen sein, als die Erwartungen seines Vaters nicht zu erfüllen? Nach all dem, was er auf sich genommen hatte, was sein Vater auf sich genommen hatte, was die Familie auf sich genommen hatte. Er hatte seine Jugend geopfert, um etwas zu werden, was er weder verstehen noch beeinflussen konnte – und sich dann als Nichts herausstellte. Sein Vater hatte mit seiner Jugend gespielt und ihn im Grunde genommen um sie betrogen.
    Erlendur seufzte. Wer möchte nicht manchmal nach Hause?
     
    Er hatte sich auf dem Bett ausgestreckt, als er auf einmal ein leises Geräusch im Zimmer hörte. Erst war er sich nicht sicher, woher das kam, und glaubte, dass sich der Plattenspieler wieder in Gang gesetzt hätte, aber die Nadel nicht bis zur Platte gekommen war.
    Er richtete sich auf, aber als er einen Blick auf den Plattenspieler warf, sah er, dass er abgeschaltet war. Wieder vernahm er den gleichen Laut, er schaute sich um. Es war dunkel im Zimmer, und er konnte nicht viel erkennen. Ein schwacher Lichtschein drang von der Straßenlaterne auf der anderen Seite herüber. Als er die Lampe auf dem kleinen Nachttisch anknipsen wollte, hörte er das Geräusch wieder, diesmal lauter. Er wagte nicht, sich zu rühren. Er erinnerte sich plötzlich, wo er das Geräusch schon einmal gehört hatte.
    Er setzte sich im Bett auf und schaute zur Tür. In der schwachen Helligkeit sah er eine kleine Gestalt in einer Nische bei der Tür kauern. Sie schaute ihn an, bläulich und bleich vor Kälte, sie zitterte so heftig, dass der Kopf sich heftig hin und her bewegte, sie zog die Nase hoch.
    Erlendur kannte das Geräusch.
    Er starrte auf die Gestalt, die ihm in die Augen sah und zu lächeln versuchte, es aber wegen der Kälteschauer nicht schaffte.
    »Bist du das?«, stöhnte Erlendur.
    Im gleichen Augenblick verschwand die Gestalt aus der Nische, Erlendur fuhr aus dem Schlaf hoch, war schon halb aus dem Bett und starrte auf die Tür.
    »Warst du

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