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Engelsstimme

Engelsstimme

Titel: Engelsstimme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnaldur Indridason
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konnte, musste nicht unbedingt so viel Aufhebens davon gemacht werden.«
    Sie blickte Erlendur an.
    »Ich glaube, mein Vater hat ihn nie so richtig als Kind betrachtet, sondern als Projekt – und als Objekt, das er ganz allein prägen und formen würde.«
    »Aber du? Wie standest du dazu?«
    »Ich? Danach wurde ich nie gefragt.«
    Sie schwiegen, während sie dem Stimmengewirr im Speisesaal lauschten und die Ausländer beobachteten, die sich lebhaft unterhielten und lachten. Erlendur betrachtete Stefanía, die in sich selbst und ihre Erinnerungen an ein fragiles Familienleben versunken zu sein schien.
    »Hast du irgendetwas mit dem Mord an ihm zu tun?«, fragte Erlendur behutsam.
    Es war, als hörte sie nicht, was er sagte, und er wiederholte die Frage. Sie blickte hoch.
    »Nicht im Geringsten«, sagte sie. »Ich wollte, er wäre noch am Leben, und ich könnte …«
    Stefanía verstummte.
    »Du könntest was?«, fragte Erlendur.
    »Ich weiß nicht, vielleicht etwas gutmachen …«
    Wieder schwieg sie eine Weile.
    »Das war alles so entsetzlich. Alles, von Anfang bis Ende. Es beginnt mit irgendwelchen Kleinigkeiten, und dann eskaliert es und wird immer komplizierter, bis man auf einmal nicht mehr damit fertig wird. Ich will es nicht als harmlose Tat hinstellen, dass er ihn die Treppe hinuntergestoßen hat. Aber man hat danach nur die Konfrontation gesucht und nichts unternommen, um das zu ändern. Weil man es nicht wollte, vermute ich. Und die Zeit vergeht, die Jahre vergehen, bis man im Grunde genommen die Empfindungen vergessen hat, den Grund, wodurch alles ausgelöst wurde, und man hat, willentlich oder unwillentlich, die Möglichkeiten verdrängt, die man hatte, um etwas wieder gutzumachen, was schief gelaufen ist, und dann ist es auf einmal zu spät, die Dinge in Ordnung zu bringen. All diese Jahre sind vergangen …«
    Sie seufzte tief.
    »Was geschah, nachdem du ihn da in der Küche überrascht hast?«
    »Ich sprach mit Papa. Er wollte nichts von Gulli wissen, und damit war die Sache für ihn erledigt. Diese nächtlichen Besuche habe ich nicht erwähnt. Ich habe aber einige Male versucht, mit ihm über eine Versöhnung zu sprechen, indem ich behauptete, Gulli zufällig auf der Straße getroffen zu haben, und dass er gerne seinen Vater wiedersehen würde, aber Papa war ganz und gar unerbittlich.«
    »Ist dein Bruder danach noch einmal ins Haus gekommen?«
    »Nicht, dass ich wüsste.«
    Sie schaute Erlendur an.
    »Das war vor zwei Jahren, und seitdem habe ich ihn nicht wiedergesehen.«

Fünfundzwanzig
    Stefanía stand auf und schickte sich an zu gehen. Es war, als hätte sie alles gesagt, was sie sagen wollte. Erlendur konnte sich des Gefühls nicht erwehren, dass sie gerade nur so viel erzählt hatte, wie notwendig war, und nur das, was ihres Erachtens bekannt werden durfte. Sicherlich hatte sie einiges verschwiegen. Er stand ebenfalls auf und überlegte, ob er es fürs Erste dabei bewenden lassen oder ihr doch noch mehr zusetzen sollte. Er beschloss, auf den von ihr vorgegebenen Kurs und ihr Tempo einzugehen. Sie hatte sich kooperationsbereiter als zuvor gezeigt, und was er gehört hatte, genügte ihm im Augenblick. Er konnte aber nicht umhin, wenigstens bei einer Sache nachzuhaken, die er überhaupt nicht nachvollziehen konnte. Sie hatte sich dazu nicht geäußert.
    »Ich kann verstehen, warum euer Vater ihm zeit seines Lebens wegen dieses Unfalls nicht verzeihen konnte«, sagte Erlendur, »wenn er ihm die Schuld daran gegeben hat, dass er für den Rest seines Lebens an den Rollstuhl gefesselt war. Aber ich weiß nicht, wo ich mit dir dran bin, warum du ebenfalls so reagiert hast. Weshalb du dich ganz und gar auf die Seite deines Vaters gestellt hast. Weshalb du dich in dieser Form von deinem Bruder abgewandt und all die Jahre keine Verbindung zu ihm gehabt hast.«
    »Ich glaube, ich habe dir hinreichend geholfen«, sagte Stefanía. »Sein Tod geht meinen Vater und mich nichts an. Der war mit dem anderen Leben verbunden, das mein Bruder lebte, und über das weder mein Vater noch ich irgendetwas wussten. Ich hoffe, du weißt es zu schätzen, dass ich versucht habe, aufrichtig zu sein und dich in der Ermittlung zu unterstützen, und ich gehe davon aus, dass du uns nicht mehr belästigen wirst. Dass du mir nicht in meinem eigenen Haus Handschellen anlegen lässt.«
    Sie streckte die Hand aus, als wollte sie irgendeinen Pakt zwischen ihnen besiegeln, dem zufolge ihr Vater und sie von jetzt an in Ruhe gelassen

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