Engelstanz: Dunkle Verlockung Teil 3 (German Edition)
Raphael mit den Wachen sprach. »Komm.«
Sie sprach erst, als sie mit Raphael und Galen allein in dem überkuppelten Haus war. Das sengende Blau seiner Augen ging ihr durch Mark und Bein, und sie fragte sich, ob die atemberaubende Kraft darin ein Vorbote dessen war, was die Zukunft bringen würde. Caliane hatte die Macht gehabt, den Geist anderer Engel zu zerstören, und Raphael war in vielerlei Hinsicht der Sohn seiner Mutter.
»Jason«, sagte der Erzengel, scheinbar aus dem Zusammenhang gerissen, »ist seit vielen Monaten erfolglos. Er konnte einen seiner Leute in Alexanders Stallungen unterbringen und in den Schenken einige Informationen aus den Gerüchten der Sklaven und Soldaten aufschnappen, aber er schafft es nicht, jemanden direkt in Alexanders Hof einzuschleusen. Nicht einmal in der Öffentlichkeit hat er Alexander zu Gesicht bekommen, um seine geistige Verfassung einschätzen zu können.«
Galens Flügel raschelten, als er sie zurechtrückte. »Das ist nicht ungewöhnlich. Es wäre unmöglich, Titus’ Hof zu unterwandern, und Alexander ist ebenfalls ein Krieger.«
Kopfschüttelnd legte Jessamy eine Hand auf seinen Flügel. »Nein. Alexander hat es sich vor langer Zeit zum Grundsatz gemacht, an jedem fünften Tag mit seinen Soldaten zu marschieren und zu fliegen. Er tut es bei Regen und Sonne, bei Hagel und Schnee. Er hat stets selbst an vorderster Front gekämpft.«
»Die Ironie daran ist«, fuhr Raphael fort, »dass ich mir in dieser Hinsicht ein Beispiel an Alexander genommen habe. Und doch hat Jason ihn in jüngster Zeit nicht mehr seiner Pflicht nachkommen sehen.« Der Erzengel ging in der Hütte auf und ab. »Obwohl in den Schenken von seiner Lieblingskonkubine die Rede war, bin ich davon ausgegangen, dass er sich in Wirklichkeit mit seinen Generälen verkrochen hat, damit nichts von seinem Schlachtplan nach außen dringt.«
»Das ist auch eine Möglichkeit.« Galen rieb sich das Kinn. »Aber Alexander hat auch einen Sohn, Rohan. Er ist sein Waffenmeister.«
Raphaels Blick begegnete Galens. »Ja. Und Rohan ist durchaus in der Lage, einen Feldzug in die Wege zu leiten.«
Jessamys Blut wurde eiskalt, als ihr die Konsequenzen von Galens Andeutung bewusst wurden. Wenn Alexander tot war … aber nein, wie sollte das möglich sein? Nur ein anderer Erzengel hätte ihn töten können, und so ein Tod war eine weitreichende Katastrophe, worunter die ganze Welt erbebte – Erzengel starben nicht einfach so. Sie nahmen Personen und ganze Städte mit sich. Kein Gift könnte das bewirken, kein heimlicher …
Oh nein.
11
»Nur ein Erzengel kann einen anderen Erzengel töten«, flüsterte sie. »Aber wenn ihn jemand hintergangen hat, dem er vertraute, könnte er vergraben worden sein.« Etwas so Entsetzliches war bisher nur einmal geschehen, lange vor Lijuans Geburt.
Hinterrücks und im Schlaf war der Erzengel von jenen überfallen worden, die er für seine Freunde gehalten hatte. Sie hatten ihn zerstückelt und seine Einzelteile an den entlegensten Orten der Welt tief in der Erde vergraben. Doch Erzengel konnten sogar aus Asche wiederauferstehen. In diesem Fall war der Teil, aus dem sich der ganze Mann regeneriert hatte, in einem Gebirgszug begraben gewesen; die Region gehörte inzwischen zu Urams Herrschaftsgebiet.
Den Gebirgszug gab es nicht mehr und ebenso wenig irgendjemanden, der auch nur über einen einzigen Tropfen Blut mit denen verwandt gewesen war, die den Erzengel vergraben hatten. Das Blutbad war so verheerend gewesen, dass niemand, der bei Trost war, so etwas noch einmal wagen würde. Sie schluckte, ehe sie fortfuhr. »Ich glaube nicht, dass Rohan seinem Vater gegenüber illoyal geworden ist« – die beiden führten eine enge Vater-Sohn-Beziehung – »aber wenn Alexander verschollen ist, wird Rohan sicher an seiner Stelle den Feldzug anführen, weil er überzeugt ist, dass sein Vater bald wieder aufersteht.«
»Jessamy hat recht«, murmelte Raphael. »Aber wenn Alexander wirklich schon so lange verschollen ist, dann ist er wahrscheinlich tot.« Sonst regenerierte sich ein Erzengel mit einer solchen Geschwindigkeit, die einem gewöhnlichen Engel unbegreiflich war, und nichts konnte ihn dabei aufhalten, weder Erde noch Gestein noch Wasser. »Wenn er aus irgendeinem Grund in einen Anshara gefallen ist«, Raphael sprach vom tiefsten Heilungsschlaf der Engel, »und ihn jemand an einen verfeindeten Erzengel verraten hat, hätte selbst Alexander sich nicht gegen einen Stoß himmlischen Feuers
Weitere Kostenlose Bücher