Engelstanz: Dunkle Verlockung Teil 3 (German Edition)
Lagune. Über Urwälder und neue Wege hinweg, bis sie schließlich auf die durch die Wolken ragenden Umrisse eines Turms zuflogen, der sich aus dem wilden Land erhob.
Bei ihrer Ankunft brach gerade ein neuer Morgen an, und das Bauwerk aus Fels, Holz und Glas sah aus, als stünde es in Flammen – eine strahlende Säule, die aus jeder Himmelsrichtung zu sehen war. Es war eine eindrucksvolle handwerkliche Leistung und ein ebenso eindrucksvolles Statement. Raphael wusste sehr gut, dass Macht für manche eine physische Gestalt haben musste.
Nach der Landung auf dem großen, flachen Dach stellte er Jessamy auf die Füße und legte seine Flügel zusammen. Dann erst begegnete er dem dunklen Blick Dmitris, der sie in Empfang nahm. »Gibt es Neuigkeiten?« Galen wusste, dass Raphael eine Staffel eingerichtet haben musste, um Nachrichten mit einer Schnelligkeit zu übermitteln, die für Sterbliche unfassbar erscheinen musste.
»Der Kader nähert sich Alexanders Territorium.«
»So schnell?« Jessamys Augen weiteten sich, sie war gerade dabei, ihre Beine zu dehnen, nicht jedoch ihre Flügel. Aus diesem Grund hatte Galen bereits vor Sonnenaufgang einen Vorwand zum Landen gesucht: Er wollte ihr die Intimsphäre bieten, in der sie diese Muskeln recken und strecken konnte. Dass sie sich dabei nicht vor ihm versteckt hatte, war, als hätte sie eine weitere Wurzel in seinem Herzen geschlagen.
»Wie es aussieht«, sagte Dmitri, »ist Alexander seit mindestens zwei Jahreszeiten von niemandem aus dem Kader gesehen worden – was für die anderen Beweis genug ist, um Raphaels Befürchtungen ernst zu nehmen.«
Dmitri hielt Jessamy die Tür auf und wartete, bis sie das Innere des Turms betreten hatten, bevor er fortfuhr. »Und es erging die Aufforderung, der Erzengel möge sich zeigen.«
»Sein Sohn verfügt über kampfbereite Soldaten.« Anhand der Informationen, die Raphael ihm bei ihrem ersten Zusammentreffen in der Zufluchtsstätte gegeben hatte, konnte Galen sich eine ziemlich genaue Vorstellung von deren Zahl und Stärke machen. »Vermutlich wird er eher angreifen, als sich zu fügen.«
»Neha und Uram sind in der Nähe, sie sind mit ihren Armeen angerückt.«
Galen wusste, dass dies ein bedeutungsvoller Schritt war. Erzengel mischten sich nicht in die Angelegenheiten anderer Kadermitglieder ein. Wenn Alexander allerdings tot war oder schlief, durften sie nicht zulassen, dass sein Territorium unter Blutrausch und Gewalt zusammenbrach. Trotz aller Schwächen konnte der Kader, wenn es nötig war, als eine wirksame Einheit zusammenarbeiten. »Wann können wir mit einer Antwort rechnen?«
Dmitri sah Jessamy an.
»Wenn Alexander lebendig und wach ist«, sagte sie, und zwischen ihren Brauen bildeten sich Falten, »wird er nicht zögern, die anderen mit brutaler Gewalt aus seinem Territorium zu vertreiben. Je mehr Zeit vergeht, desto sicherer wird es, dass er nicht mehr an der Macht ist.«
Dmitri deutete auf eine Tür; in seinen Bewegungen lag eine beeindruckende Eleganz, die Jessamy zwar wahrnahm, wie sie auch dieses sinnliche, männliche Wesen an sich wahrnahm, doch sie fühlte sich von ihm nicht angezogen. Ihr Körper war auf einen anderen eingestimmt, auf den warmen, erdigen Duft, den Galen auf ihrer Haut hinterlassen hatte, auf das tiefe Timbre seiner Stimme, die sie hören wollte, wenn sie beide im Bett die Flügel spreizten. Irgendwie vergaß sie bei Galen, dass sie verkrüppelt war, vergaß die Hässlichkeit ihres Flügels und war einfach nur da.
»Jessamy, du hast jetzt Zeit, dich umzuziehen und etwas auszuruhen. In deinem Zimmer müsstest du alles finden, was du brauchst.« Dmitris Stimme drang in ihre Gedanken. »Ich würde mich freuen, wenn du später zu uns stößt – aber wir werden über den Krieg sprechen.« Eine unausgesprochene Frage.
Jessamy war Historikerin, sie stand an der Seitenlinie und beobachtete, griff jedoch nicht ein. Aber in jedem Leben gab es einen Zeitpunkt, an dem man Stellung beziehen und sich für eine Seite entscheiden musste. »Ich werde da sein«, sagte sie und blickte in heliodorgrüne Augen.
Wenn sie zusammen sein wollten, musste ihre Loyalität Galen gehören.
Der Tag verging unter wilden Planungen und zahlreichen zielgerichteten Maßnahmen, und erst nach Sonnenuntergang traf Jessamy Galen auf dem Dach. Er hielt die Flügel mit der Disziplin eines Kriegers erhoben und blickte den Engeln hinterher, die in perfekter Formation vom Turm abflogen. Sie waren die erste Verteidigungswelle,
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