Engelstraum: Schatten der Ewigkeit: Roman (German Edition)
trauen.
Wenn ein Vampir sich nährte, entstand ein Band zwischen ihm und seiner Beute. Dieses Band erlaubte es dem Vampir, in die Gedanken desjenigen einzudringen, dessen Blut er getrunken hatte. Und dort konnte der Vampir das Denken kontrollieren, aber auch Gedanken oder Erinnerungen auslöschen.
Hatte man die Kontrolle über jemanden, war Vertrauen eigentlich kein Thema mehr. Deshalb machten sich die meisten Vampire auch keine Sorgen um die Vertrauenswürdigkeit ihrer Beute.
Nicole indes wollte keine Kontrolle. Das hatte sie nie. Sie wusste zu gut, wie es sich anfühlte, die Marionette von jemand anderem zu sein.
Bald funkelten die Lichter der Stadt in der Ferne: San Antonio. Gut. Je größer die Stadt, umso besser konnte man sich als Paranormaler dort verstecken. Und umso leichter fand man Nahrung.
Keenan lenkte das Motorrad routiniert durch die Straßen, während sie sich an ihm festhielt. Ob sie wollte oder nicht, ihr Schicksal schien neuerdings untrennbar mit seinem verkettet.
An einer belebten Straßenecke mit Bars, Betrunkenen und Autos hielt Keenan an.
Nicole stieg vom Motorrad. »Danke für …«
Er drehte sich zu ihr um, und seine Augen blitzten. »Hier kriegen wir Waffen.«
Waffen? Sie standen vor einer Bar!
»Waffen«, wiederholte er und musterte sie, »und Kleidung für dich.« Er ließ das Motorrad einfach stehen, nahm ihre Hand und drängte sich durch die Menge. Ihr Engel hielt offenbar nichts vom Schlangestehen. Er schritt geradewegs auf den Eingang zu.
Der Türsteher war nicht so dumm, ihn aufhalten zu wollen. Vielleicht hatte er aber auch die Spitzen von Nicoles Reißzähnen gesehen.
Dann waren sie drinnen. Bässe wummerten, Rauchschwaden waberten in der Luft, und es roch nach … Blut.
Nicole blieb stocksteif stehen. Der Blutgeruch war überall. Draußen hatte sie überhaupt nichts riechen können, aber drinnen übertönte der Geruch alles.
»Was denn? Warst du etwa noch nie in einer Blutbar?«, murmelte er. »Ich hätte gedacht, die sind deine bevorzugten Lokale.«
Ihr wurde schlecht. »B-blutbar.« Na gut. Sie wusste, dass es solche Läden gab, hatte von ihnen gehört.
»Der beste Imbiss für Vampire«, sagte er und schaute sich in der Bar um. Nicole folgte seinem Blick und sah eine Frau, die einen Mann gegen eine Wand gedrängt hatte, ihre Zähne an seinem Hals. In einer Ecke nährten sich zwei Männer an einer Frau, und ein Stück weiter biss ein weiblicher Vampir in das Handgelenk seines blonden Begleiters.
Blut.
»Ich, ähm, mag keine Blutbars«, brachte Nicole mühsam heraus. Ihre Zähne brannten, was eine instinktive Reaktion auf das viele Blut war, so wie das Sabbern bei einem Hund.
Doch die Beute in diesen Blutbars wurde gnadenlos ausgenutzt, ausgesagt und weggeworfen. Vor allem aber wurden die Menschen hinterher meistens getötet.
»Ich bin nicht …« Wie die. Von wegen! Wem machte sie hier etwas vor?
Seine Augen waren wieder blau, und sein ruhiger Blick schien exakt das zu sagen, was sie dachte.
»Warum sind wir hier?«, fragte sie. Er hatte gesagt, um Waffen zu besorgen; doch die einzigen tödlichen Waffen, die sie hier entdecken konnte, waren Reißzähne.
»Hinter dir sind Dämonen her. Und ich besitze nicht mehr die Fähigkeiten, die ich einst hatte.« Er neigte den Kopf seitlich und blickte hinüber zur Bar. »Wenn wir gegen die kämpfen wollen, die dich jagen, müssen wir bewaffnet sein.«
Sicher doch, denn sie war nicht gerade eine Kämpferin par excellence, wie er sicher schon bemerkt hatte. »Woher wusstest du von dieser Bar?«
Er ging bereits auf den Tresen zu, als er antwortete: »Ach, du würdest staunen, was ich alles gesehen habe.«
Nein, eher nicht.
Keenan erreichte den Tresen, legte beide Hände flach auf die Oberfläche und sagte: »Max.«
Der Barmann blickte fragend zu ihm auf. Keenan kannte ihn?
»Ich möchte die Ware im Hinterzimmer sehen«, sagte Keenan.
Nicole stützte einen Ellbogen auf die Bar und blickte sich weiter um. Die Menschen kamen freiwillig hier rein, aber mit einem einzigen Biss brachten die Vampire sie unter ihre Kontrolle. Sie konnten nicht nach Hause zurücklaufen und ihren Freunden erzählen, wie cool der neue Club war. Von dem Moment an, in dem sie erstmals gebissen wurden, sagten sie gar nichts mehr ohne die Erlaubnis des Vampirs.
Kontrolle. Nicole hasste sie.
»Hör zu, Alter«, sagte der Barmann, »ich kenne dich nicht, und ich habe keinen Schimmer, was du …«
Weiter kam er nicht.
Nicole drehte sich zu ihm
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