Engelstraum: Schatten der Ewigkeit: Roman (German Edition)
Nun klang er nicht mehr besorgt sondern misstrauisch. Seine rechte Hand bewegte sich unauffällig zum Waffenhalfter.
Nicole trat einen Schritt vor.
Sobald wir ihn los sind, erzählst du mir alles, okay?
Keenan griff nach ihrem Unterarm. Nicole war nicht mehr die Frau, die sie in New Orleans gewesen war. Und er hatte keine Ahnung, was sie die letzten sechs Monate getan hatte. Beute gesucht, womöglich Menschen getötet?
Was auch immer, es schmälerte sein Verlangen nach ihr nicht.
»Tu ihm nichts«, befahl er flüsternd.
Ihr Lächeln blieb.
»Lassen Sie die Frau los!«, brüllte der Sheriff ihn an. »Und Sie beide nehmen die Hände hoch.«
Keenan gehorchte ihm und hob beide Hände. Einen Moment später tat Nicole es ihm gleich.
Der Sheriff kam näher und schnupperte hörbar. »Ich kann keinen Alkohol riechen.« Er sah Nicole an. »Ma’am, haben Sie getrunken.«
Beinahe hätte Keenan gegrinst.
»Nein, ich …«
»Heiliger Kuhmist!«
Nun hatte der Sheriff die Waffe gezogen und richtete sie auf Nicole.
»Ich weiß, wer Sie sind.«
Keenan bemerkte die Angst in Nicoles Gesicht.
Der Sheriff sprang zurück und richtete die Waffe auf Nicoles Herz. »Heute erst habe ich ein Fax mit Ihrem Foto gekriegt. Sie werden wegen Mordes in Louisiana gesucht.«
Keenan hörte Nicoles Atem stocken, sehr leise nur, doch ihm entging es nicht.
»Und Sie haben fast einen Cop umgebracht …« Der Sheriff kniff den Mund zusammen. »Er wollte Ihnen helfen, und Sie haben ihn fast umgebracht.«
»Nein, habe ich nicht!«
Keenan kannte die Geschichte nicht. »Vielleicht haben Sie die falsche Frau.«
Der Cop blickte kurz zu ihm. »Mit der wollen Sie nichts zu schaffen haben, Mister.«
»Doch, will ich«, erwiderte Keenan ruhig.
Nicoles Hände flogen nach oben, und sie rammte dem Cop ihre Faust unters Kinn. Der Mann stolperte rückwärts.
Als der Sheriff auf dem Boden aufschlug, waren seine Augen geschlossen. Er hatte das Bewusstsein verloren.
»Ich kann nicht ins Gefängnis gehen«, flüsterte Nicole, die den Sheriff anstarrte. »Ich wollte ihm nichts tun, aber ich kann mich nicht einsperren lassen.«
»Ein Vampir würde im Gefängnis nicht überleben.« Oder vielmehr würden es die anderen nicht zulassen. Er kannte das Spiel. Manche Übernatürliche – gewöhnlich die niederen Dämonen und die Zauberer – kamen im Gefängnis klar. Vampire nicht. Sie fingen an, sich an Mithäftlingen zu nähren, was natürlich nicht geduldet wurde. Außerdem hielt sie ein normales Gefängnis so oder so nicht. Ebenso wenig wie Gestaltwandler.
Er bückte sich zu dem Sheriff. Der Mann atmete noch; und sein Kiefer war nicht gebrochen, was recht erstaunlich war. Keenan sah wieder zu Nicole auf. »Bereit zum Laufen?« Ein schwacher Blumenduft drang in seine Nase, und sogleich blickte er sich um.
Doch es war niemand hier.
Nur Nicole mit ihren großen, ängstlichen Augen und der Sheriff, der nichts mitbekam.
Dieser Duft …
Es war Zeit zu verschwinden.
Den Wagen des Sheriffs konnten sie nicht nehmen, denn der war viel zu auffällig. Dank ihrer Kraft und Schnelligkeit schafften sie es auch ohne Auto weit genug weg von dem Mann am Boden.
Sie nickte ernst. »Was ist mit ihm? Wenn er zu sich kommt, wird er mich zur Fahndung ausschreiben, und dann suchen mehr Deputys nach mir.«
»Also sollten wir dafür sorgen, dass sie dich nicht finden.« Er richtete sich auf und blickte sich erneut um. »Wir laufen bis zum nächsten Haus und organisieren uns irgendeinen Wagen.«
»Stehlen?« Sie nagte an ihrer Unterlippe und sah nach unten zu dem Sheriff. Er wirkte reichlich schutzlos, wie er so mit ausgebreiteten Armen dalag. Sein Hut war ihm vom Kopf gerutscht und neben ihm auf der Erde gelandet, und das dünne graue Haar klebte ihm an der Stirn. »Verstößt es nicht gegen eines der Gebote, ihn so hier liegen zu lassen? Besonders, nun ja, engelhaft ist das nicht.«
Da wollte sie jetzt unbedingt weiter drauf herumreiten, was?
»Ich habe dir doch gesagt, dass ich ein gefallener Engel bin.« Sie mussten weg. Dornröschen würde nicht lange weiterschlafen. »Willst du jetzt fliehen, oder möchtest du warten, bis er aufwacht und dich ins nächste Gefängnis verfrachtet?«
Sie schluckte. »Fliehen.«
Er nahm ihre Hand, und sie rannten in die Nacht.
Der Engel beobachtete sie. Keenan war so schnell, dass er den Vampir leicht weit hinter sich lassen könnte, wenn er wollte.
Aber er wollte nicht.
Das war der entscheidende Punkt bei diesem Albtraum. Keenan
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