Engelstrompeten: Ein Hiddensee-Krimi (German Edition)
Stufen in den Garten hinabführten. Zur Symmetrie von Dach und Säulen passten die mannshohen Pflanzen in riesigen Kübeln. Stechpalmen, die so hießen, obwohl sie überhaupt nicht nach Palmen aussahen. Schon gar nicht im Frühjahr, als sein Vater die graugrünen Strünke mit der Sackkarre vom Anleger hier heraufgewuchtet hatte. Jetzt hatten sie Blätter und käsig weiße Blütenkelche und sahen noch immer nicht wie Palmen aus. Mehr wie elefantöse Lilien. Harri musste an Grabgestecke und Friedhof denken.
Wie ein ertappter Spanner zuckte er zurück, als er seine Arbeitgeber auf der Veranda entdeckte. Mit dem festen Vorsatz, Zeitung und Fußbank möglichst bald weiterzurücken, tunkte er den Pinsel tief in die verschmierte Konservendose. Die schwarzbraune Flüssigkeit ploppte eine Tropfenreihe auf das Papier, als er schnell hintereinander drei Zaunlatten strich. Und dann siegte doch die Neugier. Er hob den Kopf gerade so weit, dass er unter hochgezogenen Brauen und in Riffelfalten geschobener Stirn einen unauffälligen Blick riskieren konnte. Auf Manthey, der mit Geschirr hantierte, und auf die Frau im Liegestuhl, der er Kanne und Tasse und Wasserkaraffe in Griffnähe stellte. Er beugte sich hinunter und küsste ihr auf die Stirn wie einer Kranken, bevor er im Haus verschwand.
Genau wusste Harri nicht, was er bei seinem Blick über den Zaun erwartet hatte. Irgendwas, das die Mischung aus Neid und Bewunderung erklärte, mit der sein Vater über die Mantheys sprach. Was Harri sah, fand er weder beneidenswert noch bewunderungswürdig. Höchstens langweilig.
Er zog den Kopf aus der Hecke zurück und rubbelte mit drei Fingern ein Kribbeln aus der Stirn.
Die braune Holzschutzfarbe klebte an seiner Hand. Am Mittelfinger bildete sich dort, wo der Pinsel auflag, eine fette Blase. Er schaute auf die Uhr. Halb sechs. Drei Stunden Arbeit sollten für einen heißen Sommernachmittag reichen.
Er klingelte, um sich abzumelden. Manthey öffnete und lächelte gönnerhaft. »Schon Feierabend, junger Mann?«
»Na ja«, sagte Harri und fühlte sich unbehaglich unter dem spöttischen Blick. Vielleicht waren drei Stunden doch zu wenig gewesen. »Morgen arbeite ich länger«, versprach er. »Aber heute …«
»… hast du noch was Besseres vor. Verstehe.« Manthey zwinkerte kumpelhaft. »Ist sie wenigstens hübsch?«
Harri fühlte sich ebenso ertappt wie missverstanden. »Nein. Also ja … ich meine …«, druckste er herum und spürte, wie sein Gesicht rot anlief. Er wollte nicht unhöflich sein, aber antworten auch nicht. Was ging es Manthey an, warum er nach Hause wollte? »Ich hab die Sachen wieder in den Schuppen gestellt«, wich er aus.
»Dann ist ja alles bestens. Bis morgen, Sportsfreund.« Er boxte Harri leicht gegen die Schulter. »Und viel Spaß bei deinem Rendezvous.« Sein gutgelauntes Pfeifen drang noch durch die zugezogene Eingangstür, als Harri schon kehrtgemacht hatte. Er wollte endlich nach Hause und hätte sich keinen schlechteren Zeitpunkt dafür aussuchen können.
Auf dem Giebel, von beiden Hausseiten gleich weit entfernt, genau in der Mitte zwischen Erdgeschossfenstern und denen der kleinen Zimmer im ersten Stock stand Up Friwach . Frakturbuchstaben auf grauem Putz.
Auf Freiwache kann der Seemann tun, was ihm gefällt. Ganz wie die Sommergäste, in die Wilhelm Carl Graber gerade noch rechtzeitig vor dem ersten großen Krieg investiert und das Haus Friwach gebaut hatte.
Nichts außer kargen, hügeligen Viehweiden hatte damals zwischen Haus und dem Meer gelegen, auf dem er als Schiffer und Schmuggler sein Geld verdiente. Mit Stoffen aus England nach Riga. Von dort zurück mit Silber und russischem Balsam. Mit Tabak und Schnaps, in den gerafften Segeln versteckt und vom Zoll gegen einen kleinen Obolus übersehen.
Up Friwach hatte aus Schmugglerlohn sauberes Geld gemacht.
Zwei Kriege und fünf Staatswesen hatte es so glimpflich überstanden, dass es immer noch stattlich wirkte. Fast herrschaftlich. Daran hatte auch der Anbau mit den billigen Fabrikfenstern nichts ändern können, der sich an der Rückseite hinter Flieder und Forsythien versteckte.
Jetzt stand ein Streifenwagen davor. Harri sah ihn, bevor er den Mühlberg ganz erreicht hatte. Abrupt blieb er stehen.
Es gab zwei Möglichkeiten. Die Polizei war seinetwegen da, dann konnte er sich auf einiges gefasst machen. Oder es war wegen Wanda. Was eindeutig schlimmer war.
Viel schlimmer.
Wer nicht weiß, was ihn erwartet, bleibt am besten in Deckung.
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