Engelstrompeten: Ein Hiddensee-Krimi (German Edition)
Kellertreppe hochgeschlichen kam?
Hatte er sich die Nacht mit der vergeblichen Suche nach seinem Sohn um die Ohren geschlagen, um dann seelenruhig ins Bett zu gehen?
Er hatte gar nicht nach ihm gesucht! Eine andere Erklärung gab es nicht.
Was in aller Welt hatte er dann aber nachts im Hochland verloren?
7
Mit einem flachen Bogen über Backbord glitt das Motorboot aus dem Hafen. Pieplow wartete, bis es den offenen Bodden erreichte. Es brachte Schöbel zurück nach Rügen. Zur zweiten Schicht am Schreibtisch, wie er sich ausgedrückt hatte, bevor er das Wassertaxi bestieg und »Ich melde mich!« zu Pieplow hinüberrief, als der Bootsmotor ansprang.
Pieplow genoss die Ruhe im Vitter Hafen. Vor einer halben Stunde war für heute die letzte Fähre ausgelaufen. Rechts lagen die Segler fest für die Nacht vertäut. Auf den Kuttern im großen Hafenbecken hingen die Reusenfahnen schlaff in der abendlichen Windstille. Sogar das Wasser schien erschöpft. Lustlos und träge schwappte es gegen die Kaimauern und ließ zwischen ölig glänzenden Schlieren Möwen auf seinem Rücken dümpeln.
Pieplow konnte gemächlich über den Wallweg schlendern. Die Menschen, die tagsüber hier für dichtes Gedränge sorgten, hatten abends Besseres zu tun, als an den geschlossenen Geschäften entlangzuflanieren. Auf dem Seedeich den Sonnenuntergang erwarten, zum Beispiel. Ins Konzert gehen, ins Kino. Oder sich im Figurentheater von Störtebeker und seinen Mannen entführen lassen. Die Anzahl der Fahrräder vor der Seebühne ließ auf eine ausverkaufte Vorstellung schließen.
Ob die Zuschauer wussten, dass sie Platz nahmen, wo einst der Streifenwagen der Volkspolizei untergestellt war? Wohl kaum, vermutete Pieplow, der die Nutzungsänderung der Garage für eine gute Idee hielt.
Von Vittes lebhaftester Kreuzung aus, wo vier der sieben autofreien Dorfstraßen aufeinandertrafen, sah er, dass auf der Seeseite der Tag unter einem dramatischen Himmel zur Neige ging. Quellwolken glühten im windstillen Blau über den Strahlen der sinkenden Sonne. Hell violett und lavarot schien der Himmel zu brennen und weckte Erinnerungen an Kindergedanken. An die bange Erwartung, es müsse, sobald der Feuerball die Wasserfläche berührte, ein urgewaltiges Brodeln und Zischen aufsieden. An das Schwanken zwischen Bedauern und Erleichterung über die lautlose Ruhe, mit der die Sonne schließlich am Rand der Welt versank.
Noch ließ ihr Licht die kalkweißen Wände der Häuser am Süderende in zartem Rosa schimmern. In den Straßen hing der vertraute, unnachahmliche Duft. An warmen Sommerabenden roch Vitte nach Blumen und Meer. Nach Salz und Fisch und Rosen, die sich nirgendwo auf der Insel so nahe kamen wie hier.
Und nach erstklassigen Steaks, stellte Pieplow fest, als ihm auf seinem Weg der würzige Duft von Gebratenem in die Nase stieg. Er sah zu den vollen Tischen auf der Terrasse des Godewind hinüber und merkte, wie hungrig er war. Müde und verschwitzt und hungrig.
Nicht gerade die ideale Verfassung, der Frau seiner Träume entgegenzutreten, stellte er verdrossen fest. Denn das war Marie, das hatte er sich eingestehen müssen nach Nächten, in denen er aus Träumen von ihr erwacht war. Manchmal eher verlegen, wenn seine Phantasie der Lust zu sehr die Zügel schleifen ließ, viel öfter aber mit einer großen Traurigkeit über seine hoffnungslose Verliebtheit.
Die Hartnäckigkeit, mit der sein Herz an Marie hing, war eine neue Erfahrung für ihn. Nur einmal hatte es so ausdauernd für ein Mädchen geschlagen. Da war er zehn gewesen und überzeugt, es sei für die Ewigkeit, die dann doch über die sechste Klasse nicht hinausgereicht hatte. Mehr als ein paar Monate hatte seitdem keine seiner Liebschaften gedauert. Kurz und gut, war seine Devise gewesen, und er hatte es nie bereut. Er war lieber allein, als sich weiblicher Inquisition auszusetzen. Was denkst du? Wohin gehst du? Wo bist du gewesen? – Für Pieplow die sicherste Methode, ihn in die Flucht zu jagen. Er hasste es, wenn man ihm zu sehr auf die Pelle rückte.
Diese Gefahr bestand bei Marie nicht. Sie drängte sich nicht in sein Leben und meisterte ihres, als vertraue sie letzten Endes nur sich selbst. Ihrer eigenen Kraft, die sie durch das Drama mit Leonie getragen hatte und durch die Enttäuschung über einen Mann, der sich als windiger Schuft entpuppt hatte. Und durch die lange Sorge für die alte Josefine, der Marie verdankte, was sie heute besaß. Das Haus mit dem breiten Strohdach, die
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