Engelstrompeten: Ein Hiddensee-Krimi (German Edition)
machte, mit ihm über den Fall Sieveking zu sprechen.
»Eigentlich habe ich Urlaub. Seit Samstag schon.« Der Professor biss genüsslich in eine Brötchenhälfte mit Heidelbeergelee. Anerkennend zog er die buschigen Augenbrauen hoch. »Köstlich! Einfach köstlich. Welcher Künstlerin haben wir diese Delikatesse zu verdanken?«
Ein bisschen verschroben ist er schon, dachte Pieplow und wunderte sich, wie wenig ihm das auf die Nerven ging.
»Meiner Mutter«, sagte er so knapp, dass es beinahe unhöflich klang. Deswegen schob er nach: »Heute sammelt sie die Beeren selbst. Früher mussten meine Schwestern und ich das machen.«
»Verstehe«, sagte der Professor. »Bestellen Sie ihr einen schönen Gruß von mir – das Gelee ist wirklich ausgezeichnet. Ich kann das beurteilen, glauben Sie mir. Wie die meisten Forensiker verstehe ich mich sehr wohl auf diesseitige Genüsse aller Art.«
Pieplow sah flüchtig hoch. Im zufriedenen Gesicht des Professors lag nicht die Spur von Zynismus. Er musste zu denen gehören, denen die tagtägliche Begegnung mit dem Tod eine besonders innige Beziehung zum Leben bescherte.
»Aber wie es der Zufall so will, war ich gestern doch noch mal im Institut. Viel liegengebliebener Schreibkram, zwei Krankmeldungen von Kollegen und das zur Urlaubszeit... Sie können sich ja denken, was das heißt. Als dann die Obduktionsanordnung kam, habe ich meine Siebensachen gepackt und mich auf den Weg ins Bergener Krankenhaus gemacht. Ich gestehe, auch aus einer gewissen Neugier, was die Ereignisse auf unserer schönen Insel angeht.«
Soweit Pieplow wusste, war der Hiddensee-Enthusiasmus des Professors jüngeren Datums und hatte sehr viel mit Hilde Gottschalk zu tun. Bei ihr hatte er während der Schlesinger-Ermittlungen Quartier bezogen und kam, ganz ohne staatsanwaltliche Anordnung, seitdem, so oft es ging.
Auch jetzt sei er hier, um sich den sonnigen Seiten des Lebens zu widmen, versicherte er. Keinesfalls um den Ermittlern ins Handwerk zu pfuschen. Die Sache mit dem Schuster und den Leisten gelte schließlich auch für Gerichtsmediziner. Und dennoch: »Ich konnte nicht widerstehen. Mich hat der Ort interessiert, an dem ein so schweres Polytrauma entstanden ist, wie nicht mal wir es alle Tage zu sehen bekommen. Wobei ich betonen möchte, dass die Arbeit der Spurensicherung keine Fragen offengelassen hat. Absturzort, Fallhöhe, Fundortbeschaffenheit – alles einwandfrei dokumentiert und sehr aufschlussreich im Hinblick auf das Obduktionsergebnis.«
Pieplow empfand die Weitschweifigkeit des Professors als harte Probe seiner Geduld und konnte sich nicht verkneifen, ein wenig zu drängeln: »Sie wissen also, wie und woran Wanda gestorben ist?«
So betrübt, wie der Professor ihn ansah, musste er die Frage enttäuschend finden. »Selbstverständlich, mein lieber Pieplow. Aber ob uns das weiterbringt, steht auf einem ganz anderen Blatt.«
Pieplow wollte sich schon mit weiteren forensischen Umwegen abfinden, als der Professor sich zurücklehnte und aufzählte: »Durch Sturz aus großer Höhe, vermutlich zwischen null und zwei Uhr morgens, großflächige Einwirkungen stumpfer Gewalt, Rupturen von Lunge, Leber und Milz, mehrfach frakturierte Arme, zum einen durch den Aufprall, zum anderen durch reflexartige Versuche, sich im Sturz abzufangen. Schleifverletzungen vor allem an Schulter und Rücken. Kollisionen mit Klippenvorsprüngen, Baumwurzeln, Steinen verursachten Hämatome unterschiedlicher Größe, was bedeutet, dass sie noch lebte, als sie aufschlug. Erst die Zerstörung durch Tierfraß ist postmortal.«
Wenigstens das, dachte Pieplow erleichtert. Es ersparte ihm die Vorstellung, in Wanda wäre noch Leben gewesen, als die Möwen sich über sie hermachten. Gleichzeitig wurde ihm klar, dass die Frage, die ihn am meisten beschäftigte, noch nicht beantwortet war.
»Das heißt also Unfall oder Suizid?«
»Es deutet sehr viel darauf hin, ja.« Der Professor nickte ernst. »Zumal wir einen weiteren Befund haben, der, wenn auch vielleicht nur indirekt, diese Annahme nahelegt. – Wissen Sie, was ein Aneurysma ist?«
Pieplow schüttelte den Kopf. Ein schönes Wort für eine üble Sache, vermutete er.
»Ein Aneurysma können Sie sich als die Ausbeulung einer Arterie vorstellen. Im Bauch, am Herzen, im Kopf. Kommt gar nicht so selten vor. An dieser Ausbuchtung ist die Gefäßwand sehr dünn, so dass sie leicht reißt. Dann kommt es zu einer lebensbedrohlichen Blutung. Aber bevor das passiert, kann diese
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