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Engelstrompeten: Ein Hiddensee-Krimi (German Edition)

Engelstrompeten: Ein Hiddensee-Krimi (German Edition)

Titel: Engelstrompeten: Ein Hiddensee-Krimi (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Birgit Lautenbach , Johann Ebend
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Beule auch auf das umliegende Gewebe drücken und, wenn es sich wie bei Wanda Sieveking um eine Arterie im Kopf handelt, unter anderem zu Seh- und Gleichgewichtsstörungen führen.«
    »Und deswegen ist sie gestürzt?«, folgerte Pieplow.
    Der Professor hob mahnend den Zeigefinger. »Wahrscheinlich«, schränkte er ein. »Sehr wahrscheinlich, sogar, aber eben nicht absolut sicher. Es bleibt der kleine Rest einer Möglichkeit, dass es auch ganz anders gewesen ist. Aber dafür, mein Guter, gibt es keinerlei Beweise.«
    »Sie können also nicht ausschließen, dass Wanda die Klippe hinabgestoßen wurde, aber beweisen, dass es so war, können Sie auch nicht«, stellte Pieplow resigniert fest.
    »Sie sagen es.« Der Professor breitete die Arme aus. »Nicht immer trägt das weite Feld der Wissenschaft die Früchte, die wir uns wünschen.«
    »Das heißt, die Ermittlungen werden eingestellt.« Pieplow merkte, wie unzufrieden ihn dieser Gedanke machte, obwohl er sich gern eingeredet hätte, dass es genau das war, was er sich wünschte. Einstellung der Ermittlungen zur Leichensache Wanda Sieveking. Zurück zum Inselalltag, in dessen sommerlicher Betriebsamkeit Gras über die Sache wachsen konnte, bis Wandas Tod nur noch eine schauerliche Geschichte war. Ein zusätzlicher Anreiz, am wohlig bedrohlichen Steilufer entlangzuwandern. Sich einen Sturz aus sechzig Metern Höhe vorzustellen oder das Grausen bei dem Gedanken, hinter der nächsten Biegung könnte jemand liegen, dem die Möwen das Gesicht zerhackt hatten.

    Seit fast zwei Stunden lag Clemens Meier wach neben seiner Frau. Er schob es auf den Rabatz der Sperlinge in der Hecke zum Nachbarhaus.
    Fürchterlich, dieses ewige Tschilp und Schill und Zilk. Ein ganzer Schwarm musste da draußen zugange sein. Seit Sonnenaufgang und mit wachsender Begeisterung für das eigene Gezeter. Wer sollte dabei noch schlafen können, dachte er grimmig und konzentrierte sich doch auf das Vogelgezänk, bis die schrillen Töne in seinen Ohren gellend nachhallten. Dies bewahrte ihn vor den Bildern, die ihn bedrängten. Die sich in seinem Kopf ausbreiten wollten wie dunkler, zähflüssiger Nebel, der ihm Angst machte. Eine aberwitzige, irre Angst. Schlimmer als in der Wirklichkeit gestern Morgen. Vielleicht lag es daran, dass es im Traum sein eigenes Gesicht gewesen war, über das sich die Vögel hermachten.
    Clemens Meier holte tief Luft. Es klang wie ein Stöhnen.
    »Was ist?«, fragte seine Frau erschrocken. Ihre Stimme klang nicht, als komme sie aus dem Tiefschlaf.
    »Nix«, wehrte Clemens ab. »Mir ist nur zu warm.« Er wusste selbst, dass er Unsinn redete. Morgens um Viertel nach sechs ist es auf Hiddensee noch nicht warm. Nicht mal in einem heißen Hochsommer.
    »Versuch noch eine Stunde zu schlafen«, sagte seine Frau. Sie ließ ihre Hand auf seiner Schulter liegen und schloss die Augen.
    Er tat ihr den Gefallen und lag ganz still. Mit dem gleichmäßigen Auf und Ab seines Brustkorbs täuschte er Schlaf vor, während er sich mit düsteren Gedanken herumschlug. So kannte er sich gar nicht. Er war kein Grübler. Keiner, der sich lange aufhielt mit überflüssigen Fragen.
    Was wäre wenn?
    Wenn sie später losgegangen wären?
    An einem anderen Tag?
    Warum gerade gestern?
    Warum gerade er?
    Womit hatte der Hausmeister einer Zwickauer Grundschule, der nichts wollte, als sich zehn Tage erholen, bevor der Affenzirkus wieder losging, es verdient, über eine zerfledderte Leiche zu stolpern?
    In den Lärm der Spatzen mischte sich das Kollern von Kofferrollen auf dem Verbundpflaster der Straße. Clemens Meier wusste, wie spät es war, ohne den Kopf zum Wecker auf dem Nachtschrank zu drehen. Halb sieben. Spätestens. Wer mit dem Frühschiff abreisen wollte, musste sich jetzt auf den Weg nach Kloster machen. Abschiedsrufe von Erwachsenen übertönten quengelnde Kinderstimmen.
    Gestern um diese Zeit war noch alles in Ordnung gewesen. Ahnungslos und gut gelaunt waren sie Richtung Enddorn gewandert. Hatten das Gefühl genossen, die Insel für sich allein zu haben. Einen übermütigen Moment sogar mit fröhlichem, schnellem Sex im Sommermorgengras geliebäugelt.
    Stattdessen, verflucht, waren sie weitermarschiert.
    Gestern war noch undenkbar gewesen, dass ihm die Zeit auf der Insel jemals zu lang sein konnte. Heute ertappte er sich dabei, dass er die dort draußen beneidete. Heute gäbe er etwas darum, wie sie seine Sachen zu packen und heim in den normalen Alltagsirrsinn zu fahren.
    Das Bettgestell

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