Engelstrompeten: Ein Hiddensee-Krimi (German Edition)
einen Gedanken, damit der im blassgelben Umhang Licht ins Dunkel bringt oder das leuchtende Schwert des anderen sie vor jeder Gefahr bewahrt.
Harri lässt die beiden nicht aus den Augen.
Gekrümmt, mit fast bis zum Kinn hochgezogenen Knien bleibt er auf der Seite liegen. Er wartet darauf, dass sie verschwinden. Dass er die Täuschung erkennt wie bei einer Fata Morgana. Einer unwirklichen Spiegelung von Mut und Kraft über dem Meer von Trostlosigkeit, in dem er unterzugehen droht.
Ein Schluchzen steigt aus seiner Brust, die ganz eng ist und schmerzt wie entzündet. Seine Augen sind rot und geschwollen vom Weinen. Den ganzen Abend hat er geweint. Hat einfach nicht aufhören können, bis er darüber eingeschlafen sein muss. Sein Kissen ist noch immer ganz feucht. Er spürt es, als er die Hand unter die Wange schiebt.
Wanda tritt an sein Bett. Er weiß es, ohne dass er die Augen öffnet. Sie beugt sich über ihn und streicht ihm mit den Fingerspitzen ganz leicht über den Kopf. Von der Stirn durch die Haare über dem Ohr bis in den Nacken und wieder von vorn. Stirn, Haare, Nacken. So lange, bis seine Brust wieder weit und sein Atem gleichmäßig wird. Aber die Augen zu öffnen, wagt er immer noch nicht. Zu groß ist die Angst, ihr Gesicht nicht zu erkennen.
Tierfraß.
Ihm wird übel, sobald das Wort in seinen Kopf kommt. Es verschwindet wieder, als Wandas Hand über seinen Rücken fährt. Vom Hals bis zu den Pobacken. Sogar die sind verkrampft, das merkt er, als er die Schultern loslassen und die Beine ausstrecken kann.
Ganz leicht wird ihm jetzt.
Dort, wo eben noch wie eine schleimige Kröte die Übelkeit saß, wärmt ihn jetzt ein dotterblumengelber Ball, und er sieht mit geschlossenen Augen Wandas Gesicht. Es ist jünger, als er es kennt, aber heil und ganz und freundlich wie eh und je. Vor Erleichterung lösen sich Tränen unter seinen Lidern. Bevor sie über die Schläfen ins Haar rinnen, wischt Wanda sie fort.
Sie spricht nicht. Und doch hört er ihre Stimme. Sie ist mitten in seinem Kopf, genau zwischen den Ohren, und er weiß, dass es wichtig ist, was sie ihm sagt. Die Anstrengung, sie zu verstehen, macht eine weiche Furche in seiner Stirn.
Sie gibt ihm einen Auftrag. Einen, der vom Gestern ins Morgen reicht. Bei dem es darauf ankommt, dass er die Augen aufmacht.
Er kann nicht.
Du musst, mahnt die Stimme. Du musst mir helfen. Mir und dir und den anderen Seelen, die sich auf dich verlassen. Mehr als du ahnst. Deshalb sieh hin. Ganz genau und hör auf deine Angst. Du kannst ihr vertrauen, aber halt sie im Zaum, damit du verstehst, was sie dir sagen will.
Die Stimme schweigt. Stumm wartet sie, bis er nickt. Langsam wie in Hypnose geht sein Kopf drei Mal auf und ab, bevor er die Augen öffnet. Er will Wanda ansehen, wenn er zu tun verspricht, was sie ihm aufträgt.
Sie ist nicht mehr da.
Er spürt noch ihre Hände in seinem Haar, aber sie ist schon gegangen.
Nur kurz sieht er noch den Saum eines blassgelben Umhangs durch das Fenster hinaus in die Nacht gleiten.
Ein heiseres, gleichgültiges Fauchen drang aus der Baumkrone hinter dem Haus, als ein Reisig unter dem Gewicht des Schattenwesens knackte, das darüber hinwegschlich.
Katze, Igel, Fuchs.
Zu pelzig, zu stachelig, zu groß, als dass der Nachträuber im Geäst auch nur einen Blick darauf werfen würde. Doch nach dem Rascheln und Fiepen im Gras auf der anderen Seite drehte er lautlos den Kopf. Er spannte die Flügel und schwebte unhörbar zu Boden.
Verloren im Dickicht der Halme und todgeweiht, blieb seinem spitznasigen Opfer nur ein letzter verzweifelter Schrei, bevor sich dolchscharfe Krallen durch Fell und Fleisch bohrten. Ein paar Mal flappen noch die Schwingen des Jägers, dann ist es totenstill und Wiese und Baum liegen wieder im Mondlicht wie unter einem kalten milchweißen Schleier.
Es ist die Stunde, in der die Dämonen kommen, sich auf die Bettkante setzen und warten.
Daniel Pieplow weiß, dass er jetzt diese Treppe hinaufmuss. Stufe für Stufe. Endlos, wie ihm scheint, bis sein Herz rast und er nicht weiß, ob vor Anstrengung oder vor Angst. Er darf nicht stehen bleiben, nicht Luft holen. Er muss weiter. Es ist seine Pflicht und niemand sonst könnte tun, was getan werden muss. Aber er zögert zu lange. Weil er nicht weiß, was er tun soll. Weil etwas in ihm sich weigert, auch nur einen Schritt weiterzugehen, bevor es zu spät ist. Bevor die Frau das Messer im Leib hat, aus dem ihr Blut schneller quillt, als Pieplow es je für
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