Engelstrompeten: Ein Hiddensee-Krimi (German Edition)
wenig waren, konnte Pieplow sich dieser Frage am nächsten Morgen nicht widmen.
Er überhörte den Wecker, verschlief und hatte nicht mal eine halbe Stunde Zeit, vom Bett aufs Revier zu kommen.
Kästner wartete schon mit dem fertigen Schlachtplan.
Zuerst ans Süderende. Zu Quidde, Enno, der Oberflitzpiepe. Streifenwagen direkt vor die Tür. Keine Samthandschuhe. Nicht lange fackeln. Eben das, was zum Standard in Kästners Repertoire gehörte.
Es dauerte ein paar Minuten, bis ihnen geöffnet wurde und Kästner loslegen konnte.
»Ihr habt wohl gedacht, ihr kommt ungeschoren davon?« Er legte eine Mischung aus Hohn, Drohung und Feldwebeljovialität in die Frage. »Falsch gedacht, Bürschchen! Und diesmal gibt’s richtig Ärger, das lass dir gesagt sein!«
Vor Ennos verschlafenem Mondgesicht pendelte in Kästners erhobener Hand der Plastikbeutel, in den er das entscheidende Beweisstück verpackt hatte. Die rot verschmierte Spraydose mit Fingerspuren, die sich verräterisch gut auf dem Dosenmantel abzeichneten.
»Das ist nicht meine.« Ennos Augenlider flatterten nur kurz. Seine Stimme kratzte und klang pelzig, aber fest.
Er hält sich wacker, wenn man bedenkt, dass wir ihn aus dem Bett geholt haben, dachte Pieplow, der eine Stufe unter Kästner auf der Haustreppe stand.
»Aber du weißt, wem sie gehört und wer sie wozu benutzt hat. Also raus mit der Sprache oder das Ding hier wandert in die Kriminaltechnik und dann seid ihr fällig!« Kästner machte einen einschüchternden Schritt auf den Jungen zu und wäre beinahe mit Vera Quidde zusammengeprallt. Sie war barfuß und ebenso verschlafen wie ihr Sohn, aber entschieden weniger kleinlaut.
»Moment!« Die rechte Hand streckte sie abwehrend Kästner entgegen, mit der linken hielt sie ihren Bademantel zusammen. »Ich glaube nicht, dass du hier so einfach reinspazieren kannst, ohne dass ich es erlaube. Und bevor ich das tu’, wüsste ich gern, worum’s geht.«
Kästner ließ Plastikbeutel und Spraydose sinken. »Morgen, Vera. Gut, dass du da bist.« Es war ihm nicht anzumerken, dass ihre Anwesenheit ihm einen Strich durch die Rechnung machte. Er hätte sich ihren Sohn, diesen verzogenen Lümmel, gern allein vorgeknöpft. »Wir ermitteln in der Sache am Klausner vorgestern Nacht.«
»Was für eine Sache?«
Sie schien tatsächlich nichts von dem zu wissen, was Kästner ihr beschrieb. »Das ist kein Pappenstiel, Vera, das hat Konsequenzen«, mahnte er. »Da geht’s nicht mehr um Laternenkuppeln oder Fassadenfarbe. So was ist nicht nur strafbar, sondern auch teuer, ziemlich teuer.«
Es waren wohl weniger die Kosten, die Vera Quidde ärgerlich werden ließen, als der Umstand, dass es diesmal einen Geschädigten gab, mit dem weniger gut Kirschen essen war als mit der Gemeindeverwaltung. Oder der Feuerwehr. Mit dem Klausner-Wirt überwarf man sich besser nicht. Entsprechend streng musterte sie ihren Sohn. »Bist du dabei gewesen?«
»Nein! Ehrlich nicht.« Mit Unschuldsmiene erwiderte Enno ihren Blick. »Und wer’s war, weiß ich auch nicht.«
»Lüg mich nicht an!«
»Tu ich nicht. Echt nicht.«
»Das werden wir ja sehen, wenn wir mit euch fertig sind.« Kästner ließ nicht locker und Pieplow befürchtete, dass ihm heute noch ein paar ähnliche Szenen bevorstanden. Schließlich mussten mindestens noch Harri und Wiesel die Leviten gelesen und Konsequenzen angedroht werden.
Pieplows Gedanken schweiften ab. Zu ungleichen Freunden, die sich ein paar Sommer lang unbesiegbar fühlten. Zu Matze, der ohne Schuhe Fußball spielte und auf einem viel zu großen Damenrad schneller als andere zwischen Weststrand und Bodden herumkarjolte. Zu Siggi, der seinen abgewetzten Lederball immer und überall mit sich herumschleppte und sogar in den Ferien mit dem Lehrer auf Kriegsfuß stand. Die Sache mit dem Fisch war seine Idee gewesen. Sechs Zanderköpfe, nicht mehr ganz frisch, mit gezielten Würfen durch die Gaube ins Arbeitszimmer direkt auf die Pläne fürs neue Schuljahr. Nie zuvor war Pieplow schneller gelaufen als in dieser Nacht. Nie wieder hatte er so hartnäckig und erfolgreich gelogen wie in den Wochen danach. Allen Leviten und Konsequenzen zum Trotz.
Als seine Aufmerksamkeit auf die Haustreppe der Familie Quidde zurückkehrte, wies Kästner gerade auf die Notwendigkeit einer festen, durchgreifenden Hand und die Gefahren hin, die es barg, wenn Eltern ihren Kindern alles durchgehen lassen.
Vorm Zaun auf der Straße blieben die ersten Leute stehen.
Es war an der
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