EngelsZorn - Im Blutrausch
sagen.
„Ja.“
„Wann fliegen Sie zurück?“
„Wollen Sie mich denn schon wieder loswerden?“ Er lächelte.
„Aber nein!“ Isabelle errötete.
„Tja, ich schätz‘, mein Humor ist ein bisschen gewöhnungsbedürftig.“ Er lächelte immer noch.
„Hm... vielleicht hätte ich die Frage einfach anders stellen sollen. War wohl sehr ungeschickt von mir. Verleitet ja nur zu so einer Antwort... oder so einem Humor.“, erwiderte sie leise und versuchte, ein Lächeln über ihre Lippen zu bringen. Irgendwie hatte sie das Gefühl, das Gespräch falsch angepackt zu haben. Also startete sie von Neuem einen Versuch, mit ihm ins Plaudern zu kommen. „Wie lange bleiben Sie in Paris?“
Er zuckte mit den Schultern.
Sie schwiegen wieder.
„Wissen Sie, ich bin’s einfach nicht mehr gewohnt, Gespräche zu führen. Es liegt nicht an Ihnen, falls Sie das denken. Das Alleinsein macht einen so.“, sagte er plötzlich.
„Oh...“, war alles, was sie hierauf erwiderte.
Er sah sie stumm an.
Isabelle bekam ihm gegenüber mit einem Mal Schuldgefühle, weil sie auf der Beerdigung seiner Ehefrau und seines Sohnes nicht anwesend gewesen war. Die beiden waren vor circa drei Monaten bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen. ‚... es muss hart für ihn gewesen sein, seine ganze Familie auf einen Schlag verloren zu haben..‘, dachte sie, während sie ihn ansah. Sébastian hatte von diesem Unglück bedauerlicherweise erst Tage später, und das nur durch einen puren Zufall, von einem amerikanischen Geschäftspartner erfahren, der die Tragödie in der New York Times gelesen und ihm daraufhin sein Beileid ausgesprochen hatte. „Was fü r ein Telegramm ? Es kam keines!“, hatte Charlotte de Valence damals zu ihrem Sohn gesagt, als er sie nach dem Telefonat mit seinem Onkel völlig aufgebracht danach gefragt hatte. „Wo zum Kuckuck ist das Telegramm, Mutter!?“
Tatsächlich war für das Verschwinden des Telegramms aber nur eine einzige Person verantwortlich. Ihr Name war Charlotte de Valence. Abel de Valence war für sie schon seit jeher das schwarze Schaf der Familie, deshalb sah sie es als ihre Pflicht an, das Telegramm zu vernichten und niemanden in ihrer Familie davon in Kenntnis zu setzen. Grund hierfür war, dass sie dem Bruder ihres Mannes niemals verziehen hatte, dass er eine mittellose Tänzerin aus New York geehelicht hatte. Ihrer Meinung nach habe er mit dieser Heirat gegen die Konventionen ihres Standes verstoßen. Sie hatte seit dem Zeitpunkt Zwietracht zwischen diesen beiden Brüdern gesät und immer wieder versucht, den Kontakt zwischen ihnen zu unterbrechen. Leider konnte es ihr niemals nachgewiesen werden, dass sie das Telegramm unauffällig hatte verschwinden lassen. Normalerweise nahm die Post immer ein Dienstbote entgegen, doch an jenem Tag war der Postbote zufällig der Hausherrin über den Weg gelaufen, die gerade dabei gewesen war, die nächste Intrige zu spinnen. Sie hatte ihm einen großen Schein in die Hand gedrückt, das Telegramm entgegengenommen und war damit im Pavillon verschwunden. Madame de Valence wusste, dass Telegramme niemals etwas Gutes zu verheißen hatten, daher hatte sie sie von jeher immer schon aussortiert.
Ferdinand de Valence war zwar zuletzt im Streit mit seinem zweitjüngsten Bruder auseinandergegangen und hatte ihn mehrere Jahre weder gesehen noch gesprochen, doch diese schändliche Tat hätte er seiner Frau niemals verziehen, wäre sie ihr nachgewiesen worden. Unverzeihlich für immer und ewig wäre es gewesen, hätte er erfahren, dass sie ihn absichtlich daran gehindert hatte, den beiden die letzte Ehre am Grab zu erweisen. Hätte er sie dabei ertappt, wie sie mutwillig die Nachricht vom Tode seiner Schwägerin und seines Neffen hatte verschwinden lassen, dann wäre er nahe daran gewesen, die Scheidung einzureichen. Mit dem Gedanken hatte er bereits des Öfteren gespielt, doch mehr als nur ein Wunschgedanke war es nie gewesen. Aber allein der Verdacht kühlte die ohnehin leidenschaftslose Ehe wieder um einiges weiter ab, die seit langen Jahren nur noch auf dem Papier bestand.
„Es tut mir sehr leid, dass ich nicht auf der Beerdigung war, aber ich wusste nichts davon... Sébastian ja leider auch nicht.“ Beide sahen sich in die Augen. „Dass er’s überhaupt erst erfahren hat, war ja eh purer Zufall... aber das wissen Sie ja schon... er hat Sie ja schließlich sofort angerufen, als man’s ihm gesagt hat. Es tut mir so leid, was mit Ihrer Frau... und Ihrem Sohn...
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