EngelsZorn - Im Blutrausch
in seinem Portemonnaie, was dem Personal nicht entgangen war. Daher beschlossen die drei Beteiligten, in diesem Fall das Los entscheiden zu lassen. Man einigte sich rasch darauf, Streichhölzer zu ziehen. Doch niemand hatte welche einstecken. Also griff man gezwungenermaßen wieder einmal auf die Würfel zurück. Derjenige mit der größten Augenzahl sollte de Valence die Zeitung bringen. Den Glückstreffer erzielte, wie schon so oft, der Portier. Dass seine Würfel manipuliert waren, wussten die beiden Hotelpagen nicht.
Sébastian ließ seine despotische Ader jedoch niemals Isabelle oder aber gar seinen Vater spüren. Auch bei seinen Freunden riss er sich zusammen. Geschäftspartner und Fremde bekamen sie aber in aller Härte ab. Insbesondere aber seine Mutter.
Sébastian ging mit der Zeitung zurück ins Schlafzimmer, schlüpfte wieder zu Isabelle unter die Decke und las den Bericht über den Mord auf der Titelseite.
Es war ein ziemlich umfangreicher Artikel. Eine große Photographie von Isabelle war unter der Schlagzeile abgebildet. Sie lag auf einer Liege, und in ihrem Gesicht waren Entsetzen, Angst und Trauer zu erkennen. Dieser Blick versetzte ihm einen Stich in der Brust. So angstvoll hatte er sie noch nie zuvor gesehen. Was hätte er nur dafür gegeben, in diesen schrecklichen Stunden bei ihr gewesen zu sein. Es quälte ihn zutiefst, dass sie in diesen grauenvollen Momenten ganz alleine gewesen war.
Er beugte sich zu ihr herunter und küsste sie zärtlich auf ihre Wange.
„Ich werde jetzt auf dich aufpassen. So etwas lass‘ ich nie wieder zu! Das verspreche ich dir!“, flüsterte er ihr leise ins Ohr.
4
Er saß reglos in seinem roten Sessel und starrte gedankenverloren durch das Fenster, bis sie den Raum wieder verlassen hatte. Er richtete seinen Blick auf die Tür. Kurz darauf erhob er sich, ging schnell zum Tisch hinüber und sah auf die Zeitung herab. Die aktuelle Ausgabe lag dort jeden Abend im Gemeinschaftsraum aus.
Er sah sich um, griff zügig danach und versteckte sie blitzschnell unter seiner Weste.
Niemand von den anderen interessierte sich für ihn.
Niemand beachtete ihn.
Niemand beobachtete, was er tat.
Anschließend schlenderte er zurück zu seinem Sessel, setzte sich hinein und richtete seinen Blick erneut auf das Fenster. Regungslos saß er da und starrte durch die Fensterscheibe hinaus gen Himmel. Er richtete seinen Blick auf eine vorüberziehende Wolke und wartete.
Er wartete darauf, dass sie zurückkam.
Denn nur wenn sie käme, wusste er, wäre es soweit.
Jeden Tag geleitete sie ihn zur selben Uhrzeit auf sein Zimmer.
Er bekam vom Hinausstarren schon einen steifen Hals, aber er wagte nicht, sich mit den Händen über den Nacken zu fahren.
Und dann hörte er sie.
Endlich kam sie zurück.
Sie kam, um ihn abzuholen.
Als er hinterher alleine in seinem Zimmer zurückblieb, wartete er einige Minuten, bevor er die La Vitesse-Lumière wieder unter seiner Weste hervorzog. Er schritt auf das Fenster zu, ließ sich dort auf der Fensterbank nieder, deren Holz unter seinem Gewicht leicht nachgab, und sah hinaus.
Die alten Holzplatten knarrten. Der Laut hallte durch den ganzen Raum.
Er horchte kurz auf. Doch sie kam nicht zurück.
Er betrachtete den Vollmond durch sein Fenster, bis er schließlich begann, den Bericht auf der Titelseite zu lesen.
Zeitungsausschnitt
Bericht auf der Titelseite der Pariser Tageszeitung La Vitesse-Lumière
Ein Bild von Isabelle Dion
wurde unter
der Schlagzeile abgedruckt.
La Vitesse-Lumière
Paris
Dienstag, den 21. Oktober 2003
Hat Black Angel wieder zugeschlagen?
Bereits viertes Opfer tot aufgefunden!
Entgegen seinem üblichen Schema tötet der Serienkiller nun einen Pariser Geschäftsmann! Verhaltensmuster nicht eindeutig.
Der Adel blieb dieses Mal verschont.
Polizeiinspektor Léon Dumas durch K. O. Gas im Einsatz verletzt.
Isabelle Dion hegt Zweifel gegen ‚Black Angel‘ in dieser Mordsache. Auffallend wichtigste Parallele zu den anderen drei Fällen fehlt.
Gestern wurde der Geschäftsmann Christian Renard (44) in den Geschäftsräumen der Renard S.A.R.L. tot aufgefunden. Auch ihm wurde, so wie bereits den ersten drei Opfern, die Kehle durchgeschnitten und das Herz aus der Brust entnommen. Am Tatort hat man abermals ein Geständnis des Toten vorgefunden. Der Text war gleichlautend mit dem der ersten drei Geständnisse. Auch diesmal ließ ‚Black Angel‘ wieder sein Todeslied
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