EngelsZorn - Im Blutrausch
wie er in dreißig Jahren mal aussehen werde. „Du bist wie dein Vater. Du hast nicht nur dieselben Charakterzüge wie er, nein, du bist ihm wirklich wie aus dem Gesicht geschnitten. Ihr seid euch so verdammt ähnlich, chéri.“, hatte sie immer mit einem Lächeln im Gesicht zu ihm gesagt, wenn das Thema mal wieder auf seinen Vater gefallen war.
Von dieser herzzerreißenden Szene war de Valence sichtlich angetan. Er hatte sich in den letzten Jahren oft gewünscht, von jemandem so geliebt zu werden, wie sein Sohn von dieser unglaublichen Frau, die dort unten am Boden kniete und Gott anflehte, er möge Sébastian retten. De Valence hatte schon immer gewusst, dass es bei den beiden Liebe war, und der letzte Beweis für seine Theorie war das eindringliche Flehen Isabelles zu Gott am Bette seines im Sterben liegenden Sohnes. Er verspürte einen noch nie dagewesenen Schmerz, der seinen Geist zu betäuben drohte und seinen Verstand in Wahnsinn tauchte. Er konnte seine Gefühle kaum zurückhalten. De Valence ging auf Isabelle zu, blieb vor ihr stehen und berührte sie mit seiner Hand am Kopf.
Sie sah zu ihm auf.
„Wein‘ nicht, Isabelle.“, sagte er leise. Es war das erste Mal, dass er sie mit dem Vornamen ansprach. Anschließend drehte er sich um und ging aus dem Zimmer hinaus. Betäubt durch den unbändigen Schmerz in seiner Brust, nahm er beim Herausgehen Fort und Duval, die abseits standen, nicht mehr wahr. Er suchte die Toiletten auf, ging zum Waschbecken, stützte sich mit beiden Händen darauf ab und sah in den Spiegel. Dicke Tränen schossen aus seinen Augen heraus und rollten die Wangen entlang zum Kinn herunter.
Duval ergriff sofort die Gelegenheit beim Schopf, als de Valence Isabelle mit seiner Hand am Kopf berührt hatte, und schoss unbemerkt einen Schnappschuss von ihr, als sie zu ihm aufsah. So viel Elend in nur einem einzigen Gesicht ausgedrückt bekam er selten vor seine Linse. Isabelles Gesichtsausdruck sah unheimlich herzzerreißend aus und war genau das Richtige für seine Leser, dachte Duval im Stillen. Diese Story würde die Höhe der Auflagenzahlen der letzten Jahre weit überspringen, waren seine Gedanken, während er die weinende Isabelle beobachtete. Nachdem de Valence an ihm vorbeigegangen war, folgte er ihm kurze Zeit später aus dem Krankenzimmer hinaus und verließ das Hospital, um seinen Artikel für die nächste Ausgabe zu verfassen.
Fort stand nahe der Tür, dicht an die Wand gelehnt, und rührte sich nicht. Er beobachtete die herzzerreißende Szene, die sich vor ihm am Boden abspielte. Er bedauerte Isabelle zutiefst und es bewegte ihn innerlich sehr, als er sie vor de Valence knien und um sein Leben betteln sah. Sie hielt seine Hand fest umschlossen in der ihrigen, küsste sie, vergrub ihr Gesicht darin und benetzte dadurch mit ihren Tränen die Handfläche. Sie betete zu Gott, brach immer wieder in Tränen aus, schluchzte fürchterlich, und flehte erneut zu Gott. All das zu sehen überwältigte Fort sehr. Er beschattete diese Frau nun schon seit mehr als zwei Wochen, doch schon nach kurzer Zeit hatte er festgestellt, dass er auf bestem Wege war, sich in diese Frau zu verlieben. Sämtliche von ihm eingeleiteten Gegenmaßnahmen und getroffenen Vorkehrungen gegen eine solche sinnlose und törichte Verliebtheit waren an seinen tiefen Gefühlen, deren er sich nicht erwehren konnte und die bereits Besitz von ihm ergriffen hatten, gescheitert. Doch als er das erkannt hatte, hatte er bereits sein Herz an sie verloren. Eines Tages hatte er plötzlich angefangen, diese außergewöhnliche Frau zu begehren, und nun sah er sie dort unten vor sich, kniend, zutiefst am Boden zerstört und um einen Menschen weinend, den sie liebte.
Fort war sich ziemlich sicher, noch niemals in seinem Leben so geliebt worden zu sein, und als ihm dies bewusst geworden war, begann er im selben Augenblick de Valence um diese am Boden kniende Frau zu beneiden. Die Gewissheit zu haben, niemals eine Erwiderung auf seine Liebe, die von vornherein zum Scheitern verurteilt war, zu erhalten, stimmte ihn trübselig. Aus diesem Grunde hatte er in den letzten Nächten immer öfter zur Whiskyflasche gegriffen, um seinen Kummer über die sinnlose und zudem verbotene Liebe, die er zu ihr empfand, zu ertränken.
Er beobachtete Isabelle noch einige Minuten lang, dann wandte er sich von ihr ab, ging zur Tür hinaus in den Flur, setzte sich dort auf eine Bank, lehnte seinen Kopf an die Wand und schloss die Augen. Er war seines
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