Englische Liebschaften (Nancy Mitford - Meisterwerke neu aufgelegt) (German Edition)
Versuch, die schroffe Fassade gefälliger zu machen – kahl und unwirtlich wie eine Kaserne kauerte der Bau auf dem hohen Berg. Die Tonart und das Thema im Inneren gab der Tod an. Nicht der Tod junger Mädchen, nicht der mit Urnen und Trauerweiden, Zypressen und Abschiedsoden romantisch ausstaffierte Tod, sondern der unverbrämte, wirkliche Tod von Kriegern und Tieren. An den Wänden waren Hellebarden und Spieße und altertümliche Musketen mit den in vielen Ländern erbeuteten Jagdtrophäen und mit den Fahnen und Uniformen verblichener Radletts zu primitiven Mustern angeordnet. In den Glasvitrinen wurden nicht Miniaturen schöner Damen aufbewahrt, sondern die Orden und Rangabzeichen ihrer Herren, ein Federhalter aus Tigerzähnen, der Huf eines Lieblingspferds, Telegramme, die vom Tod in der Schlacht kündeten, Offizierspatente auf Pergamentrollen, alles in zeitlosem Wirrwarr durcheinandergeworfen.
Merlinford schmiegte sich in ein nach Südwesten geöffnetes Tal, inmitten von Obstgärten und alten, gemütlichen Bauernhäusern. Es war eine Villa, etwa um die gleiche Zeit errichtet wie Alconleigh, aber von einem ganz anderen Architekten und mit einem ganz anderen Ziel vor Augen. Es war ein Haus zum Wohnen, kein Unterschlupf, aus dem man tagein, tagaus Feinden oder Tieren auflauerte. Für einen Junggesellen oder ein Ehepaar mit einem oder allenfalls zwei schönen, klugen, zarten Kindern war es gerade richtig. Es besaß Decken, die von Angelica Kauffmann ausgemalt waren, eine Chippendale-Treppe, Mobiliar von Sheraton und Hepplewhite; in der Halle hingen zwei Watteaus; von einem Schanzspaten oder von Jagdtrophäen war weit und breit nichts zu sehen.
Lord Merlin beschäftigte sich ständig mit der Verschönerung seines Hauses. Er war ein bedeutender Sammler, und nicht nur Merlinford, sondern auch seine Häuser in London und Rom waren voller Schätze. Ein bekannter Antiquitätenhändler aus der St. James’s Street hatte es sogar für lohnend erachtet, in dem Städtchen Merlinford eine Filiale zu eröffnen, um Seine Lordschaft beim Morgenspaziergang mit allerlei erlesenen Dingen in Versuchung zu führen, und schon bald hatte es ihm ein Juwelier aus der Bond Street nachgetan. Lord Merlin liebte Juwelen; seine beiden schwarzen Whippets trugen Diamantenketten, die für weißere, aber keinesweg schlankere oder graziösere Hälse entworfen waren. Hiermit narrte er seine Nachbarn schon seit Langem; bei den Landadeligen der Umgebung war die Ansicht verbreitet, er stifte die rechtschaffenen Bürger von Merlinford zur Unredlichkeit an. Aber die Nachbarn waren doppelt genarrt, als die Jahre ins Land gingen und die Brillanten noch immer unversehrt an den beiden haarigen Hälsen funkelten.
Antiquitäten waren aber keineswegs seine einzige Vorliebe; er selbst betätigte sich als Maler und Musiker und war der Schirmherr aller jungen Künstler. Fortwährend erklang moderne Musik in Merlinford, und im Garten hatte er ein kleines, aber sehr elegantes Theater errichten lassen, wohin er die erstaunten Nachbarn zu so rätselhaften Veranstaltungen einlud wie Stücken von Cocteau, einer Oper namens Mahagonny oder den neuesten Dada-Extravaganzen aus Paris. Da Lord Merlin als Witzbold bekannt war, ließ sich mitunter schwer klären, wo der Witz aufhörte und die Kultur anfing. Ich nehme an, er wusste es manchmal selbst nicht so genau.
Eine fantastische Marmorskulptur auf einem benachbarten Berg wurde von einem Goldengel gekrönt, der jeden Abend um die Zeit von Lord Merlins Geburt auf einer Trompete blies (dass dies gegen zwanzig nach neun geschah, etwas zu spät, um an die Nachrichten von BBC zu erinnern, sollte den Bewohnern der Gegend in späteren Jahren noch manchen Kummer machen). Am Tage glitzerten die Halbedelsteine an der Figur, und abends wurde sie von einem starken Scheinwerfer in blaues Licht getaucht.
Ein solcher Mann musste bei den eher biederen Landadeligen in den Cotswolds zur Legende werden. Aber obgleich sie einen Lebensstil nicht billigen konnten, der dem Töten von schmackhaftem Wild keinen Platz einräumte (wohl aber dem Verzehr), und obgleich Lord Merlins Ästhetentum und sein Schabernack sie über die Maßen verwirrten, akzeptierten sie ihn umstandslos als einen der Ihren. Ihre Familien hatten seit jeher Umgang mit der seinen gepflogen, und vor vielen Jahren war sein Vater ein höchst populärer Master of the Foxhounds gewesen; er war kein Emporkömmling, kein Neureicher, sondern bloß einer, der mit allem, was am
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