Englische Liebschaften (Nancy Mitford - Meisterwerke neu aufgelegt) (German Edition)
englischen Landleben ganz normal war, sein Spiel trieb. Selbst die verrückte Skulptur, die man allgemein für abgrundtief hässlich hielt, wurde von denen, die sich auf dem Heimweg von der Jagd verirrt hatten, als Orientierungspunkt begrüßt.
Die Meinungsverschiedenheit zwischen Tante Sadie und Onkel Matthew betraf nun nicht etwa die Frage, ob Lord Merlin zu dem Ball eingeladen werden solle oder nicht (diese Frage stellte sich nicht, da alle Nachbarn automatisch eingeladen waren), es handelte sich vielmehr darum, ob man ihn auffordern solle, auch seine eigenen Gäste mitzubringen. Tante Sadie war dafür. Zwar lebte sie seit ihrer Heirat in tiefer Weltabgeschiedenheit, aber als junges Mädchen hatte sie sich in der Welt umgesehen und wusste, dass Lord Merlins Gäste, wenn er bereit war, sie mitzubringen, den Ball außerordentlich zieren und bereichern würden. Sie wusste auch, dass ihr Ball, abgesehen von dieser Beimischung, im Zeichen einer durch nichts gemilderten Schwerfälligkeit und eines eklatanten Mangels an jeglicher Eleganz stehen würde, während sich bei ihr noch einmal der Wunsch regte, junge Frauen mit schönen Frisuren, mit Londoner Physiognomien und Pariser Kleidern zu sehen. Onkel Matthew sagte: »Wenn wir diesen grauenhaften Merlin bitten, seine Freunde mitzubringen, dann holen wir uns einen Haufen Ästheten ins Haus, Gullis aus Oxford, und ich würde ihm sogar zutrauen, dass er ein paar Ausländer anschleppt. Wie ich höre, hat er manchmal Frogs und sogar Wops bei sich zu Gast. Ich will nicht, dass in meinem Haus Wops herumwimmeln.«
Am Ende aber blieb Tante Sadie, wie gewöhnlich, die Siegerin, setzte sich hin und schrieb: »Lieber Lord Merlin, wir geben einen kleinen Ball für Louisa, usw. …«, während Onkel Matthew, der seinen Teil gesagt hatte, mit finsterer Miene davonging und Thora auflegte.
Lord Merlin nahm die Einladung an und erklärte, er werde zwölf seiner Gäste mitbringen, deren Namen er Tante Sadie in Kürze unterbreiten wolle. Ein äußerst korrektes, völlig normales Verhalten. Als Tante Sadie seinen Brief öffnete, war sie angenehm überrascht, dass er keinen Mechanismus enthielt, der ihr ins Gesicht sprang. Das Briefpapier war sogar mit einem Bild seines Hauses verziert, aber das verheimlichte sie vor Onkel Matthew. Es gehörte zu den Dingen, die er verachtete.
Einige Tage später gab es eine weitere Überraschung. Lord Merlin schrieb einen zweiten Brief, noch immer ohne Narreteien, noch immer höflich, in dem er Onkel Matthew, Tante Sadie und Louisa anlässlich des Wohltätigkeitsballs zugunsten des Krankenhauses von Merlinford zum Dinner einlud. Onkel Matthew ließ sich natürlich nicht überreden, aber Tante Sadie und Louisa gingen hin. Und als sie zurückkehrten, schwirrte ihnen der Kopf. Im ganzen Haus, so erzählten sie, sei es glühend heiß gewesen, so heiß, dass man nicht einen Augenblick lang gefroren habe, auch nicht beim Ablegen der Mäntel im Vestibül. Sie waren sehr früh da gewesen, lange bevor die anderen herunterkamen, denn in Alconleigh war es üblich, wenn man das Automobil nahm, eine Viertelstunde früher aufzubrechen, für den Fall einer Reifenpanne. Auf diese Weise hatten sie Gelegenheit, sich gründlich umzusehen. Überall im Haus standen Frühlingsblumen, und es duftete wunderbar. Auch die Gewächshäuser in Alconleigh waren voller Frühlingsblumen, aber aus irgendeinem Grund gelangten sie nie ins Haus, und hätten sie den Weg gefunden, dann wären sie wegen der dort herrschenden Kälte gewiss sogleich verwelkt. Die Whippets trugen tatsächlich Diamantenketten, viel imposanter als die von Tante Sadie, wie diese selbst sagte, und sie musste sogar einräumen, dass sie ihnen gut standen. Zahme Paradiesvögel flogen im Haus herum, und einer der jungen Männer erzählte Louisa, wenn sie einmal tagsüber käme, könnte sie einen ganzen Schwarm bunter Tauben herumflattern sehen, wie eine Konfettiwolke am Himmel.
»Merlin färbt sie jedes Jahr, und getrocknet werden sie im Wäscheschrank.«
»Ist das denn nicht schrecklich grausam?«, meinte Louisa entsetzt.
»Aber nein, sie haben das gern. Wenn sie dann herauskommen, sind die Männchen und ihre Frauen so hübsch anzusehen.«
»Und was ist mit ihren armen Augen?«
»Ach, dass man sie besser schließt, haben sie sehr bald heraus.«
Als die übrigen Gäste endlich aus ihren Zimmern kamen (manche von ihnen empörend spät), dufteten sie noch köstlicher als die Blumen und sahen noch exotischer aus als
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