Englische Liebschaften (Nancy Mitford - Meisterwerke neu aufgelegt) (German Edition)
diese Art von Berühmtheit hatten wir es gewiss nicht abgesehen.
In diesem Winter hatte Onkel Matthew ein neues Stück auf seinem Grammophon, es hieß Thora. »Ich lebe im Land der Rosen«, dröhnte eine tiefe Männerstimme, »doch ich träume vom Land des Schnees. Sprich, sprich, sprich, Thora, zu mir.« Er spielte es morgens, mittags und abends; es passte genau zu unserer Stimmung, und der Name Thora war für uns von ergreifender, alles übertreffender Schönheit.
Bald nach Weihnachten wollte Tante Sadie einen Ball für Louisa geben, und darauf setzten wir große Hoffnungen. Zwar waren weder der Prinz von Wales noch mein Farmer eingeladen, aber, wie Linda sagte: Auf dem Land konnte man nie wissen. Vielleicht würde jemand sie mitbringen. Oder der Prinz hatte eine Autopanne, vielleicht auf dem Weg nach Badminton; was wäre in einem solchen Fall naheliegender, als dass er sich die Zeit auf unserem Fest vertriebe?
»Ach bitte, wer ist die bezaubernde junge Dame dort?«
»Meine Tochter Louisa, Sir.«
»Ach ja, sehr charmant, aber ich meinte eigentlich die in dem weißen Taftkleid.«
»Das ist meine jüngste Tochter Linda, Königliche Hoheit.«
»Bitte, stellen Sie mich vor.«
Und schon würden sie in vollendetem Walzerschritt davonwirbeln, während die übrigen Tänzer bewundernd zur Seite träten. Wenn sie vom Tanzen ermüdet wären, würden sie, in geistreiche Gespräche vertieft, für den Rest des Abends beieinandersitzen.
Am nächsten Tag erschiene ein Adjutant und hielte um ihre Hand an …
»Aber sie ist noch so jung!«
»Seine Königliche Hoheit ist bereit, ein Jahr zu warten. Er möchte daran erinnern, dass Ihre Majestät, die Kaiserin Elisabeth von Österreich, mit sechzehn heiratete. Inzwischen sendet er Ihnen dieses Juwel.«
Eine goldene Schatulle, darin auf einem rosa und weißen Polster eine Diamantenrose.
Meine Tagträume waren weniger extravagant, aber ebenso unwahrscheinlich und für mich ebenso wirklich. Ich stellte mir vor, mein Farmer würde mich, im Damensattel hinter sich, wie der junge Lochinvar von Alconleigh entführen und zum nächsten Schmied bringen, der uns für Mann und Frau erklärte. Gnädig versprach mir Linda eines der königlichen Güter, aber ich fand das langweilig, es würde viel lustiger sein, einen eigenen Hof zu besitzen.
Unterdessen gingen die Vorbereitungen für den Ball weiter, und jeder im Haus war davon betroffen. Lindas Kleid und meines, aus weißem Taft mit flatternden Einsätzen und perlenbestickten Gürteln, wurden von Mrs. Josh angefertigt, deren Haus wir immerfort belagerten, um zu sehen, wie sie mit der Arbeit vorankam. Louisas Kleid kam von Reville, es war aus Silberlamé mit zarten blau abgesetzten Rüschen. An der linken Schulter baumelte, seltsam unverbunden mit dem Kleid, eine große Rosenblüte aus rosa Seide. Tante Sadie hatte ihren gewohnten Gleichmut verloren und befand sich in einem Zustand aufgeregter Geschäftigkeit und Besorgnis; so hatten wir sie noch nie gesehen. Und zum ersten Mal, soweit sich einer von uns erinnern konnte, war es dabei zu einer Meinungsverschiedenheit zwischen ihr und Onkel Matthew gekommen. Es ging um die folgende Frage: Der nächste Nachbar von Alconleigh war Lord Merlin; sein Besitz grenzte an den von Onkel Matthew, und sein Haus bei Merlinford war ungefähr fünf Meilen entfernt. Onkel Matthew verabscheute ihn, und was Lord Merlin betraf, so war es kein Zufall, dass er als Telegrammadresse »Nachbarschreck« gewählt hatte. Es war jedoch nie zu einem offenen Zerwürfnis zwischen den beiden gekommen; dass sie einander nie begegneten, hatte nichts zu besagen, denn Lord Merlin jagte und fischte nicht, während Onkel Matthew, soweit man wusste, noch nie im Leben eine Mahlzeit außerhalb seines Hauses eingenommen hatte. »Ganz ausgezeichnet, das Essen zu Hause«, pflegte er zu sagen, und die Leute hatten es längst aufgegeben, ihn einzuladen. Die beiden Männer ebenso wie ihre beiden Häuser und Güter bildeten einen absoluten Gegensatz. Alconleigh war ein großes, hässliches, nach Norden gerichtetes Haus im georgianischen Stil, zu einem einzigen Zweck erbaut, nämlich ganzen Generationen bukolischer Gutsherren, ihren Frauen, ihren riesigen Familien, ihren Hunden, ihren Pferden, der Witwe des Vaters und den unverheirateten Schwestern ein Dach über dem Kopf zu bieten, falls das Wetter so schlecht war, dass man sich nicht im Freien aufhalten konnte. Keinerlei Bestreben, zu verschönern, die harten Linien zu brechen, kein
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