Englische Liebschaften (Nancy Mitford - Meisterwerke neu aufgelegt) (German Edition)
begegneten, ließen die alten Kroesigs Linda nicht im Unklaren darüber, dass sie sich als Schwiegertochter nicht bewährt habe. Sogar daran, dass Tony jetzt andere Ansichten als sein Vater vertrat, gaben sie ihr die Schuld, und mit traurigem Kopfschütteln erklärte Lady Kroesig ihren Freundinnen, Lindas Einfluss auf ihn sei nicht der beste.
Auf diese Weise vertat Linda viele Jahre ihrer Jugend, ohne dass irgendetwas dabei herauskam. Wäre ihr eine anspruchsvollere Erziehung zuteilgeworden, dann hätte ein ernsthaftes Interesse an der Kunst oder an Büchern die Stelle all dieser ziellosen Plaudereien, Witzeleien und Partys einnehmen können; wenn ihre Ehe glücklich gewesen wäre, dann hätte der Teil ihres Wesens, den es nach Geselligkeit verlangte, am Kamin des Kinderzimmers Erfüllung finden können; aber so, wie die Dinge standen, blieb es bei Jux und Tollerei.
Alfred und ich gerieten sogar einmal mit Davey in Streit, als wir dies alles aussprachen. Davey warf uns vor, wir seien Spießer, aber im Grunde seines Herzens wusste er, dass wir recht hatten.
»Linda macht einem doch so viel Vergnügen«, beteuerte er immer wieder, »sie ist wie ein Blumenstrauß. Ihr wollt doch nicht, dass sich ein solcher Mensch in ernster Lektüre verkriecht; wozu denn?«
Doch auch er musste einräumen, dass ihr Verhalten gegen die arme kleine Moira nicht so war, wie es hätte sein sollen. (Das Kind war dick, blond, gutmütig, träge und zurückgeblieben, und Linda konnte es immer noch nicht leiden; die Kroesigs indessen vergötterten es, und zusammen mit seinem Kindermädchen war es nun immer häufiger und immer länger in Planes. Die Kroesigs hatten Moira gern um sich. Das hinderte sie aber nicht daran, Lindas Verhalten unablässig zu kritisieren. Jetzt erzählten sie allen Leuten, sie sei ein albernes, flatterhaftes Geschöpf und vernachlässige kaltherzig ihr Kind.)
Beinahe zornig meinte Alfred: »Seltsam ist, dass sie sich nicht einmal auf Liebesaffären einlässt. Ich verstehe nicht, was sie von ihrem Leben eigentlich hat, es muss furchtbar leer sein.«
Alfred schätzte es, wenn sich die Menschen klar und eindeutig irgendeiner Kategorie zuordnen ließen, die ihm verständlich war; Karrierist, Aufsteiger, tugendhafte Gattin und Mutter oder eben Ehebrecherin.
Lindas gesellschaftliches Leben war völlig ohne Ziel und Richtung; sie sammelte einfach eine Schar netter Leute um sich, die genug Muße hatten, den ganzen Tag zu verplaudern; ob sie Millionäre waren oder arme Schlucker, Fürsten oder Exilrumänen, war ihr völlig gleichgültig. Obwohl sie, mich und ihre Schwestern ausgenommen, fast nur mit Männern befreundet war, stand sie so sehr im Ruf der Tugendhaftigkeit, dass man tatsächlich den Verdacht hegen konnte, sie liebe ihren Mann.
»Linda glaubt an die Liebe«, erläuterte Davey, »sie ist aus ganzer Seele romantisch. Im Augenblick, dessen bin ich sicher, wartet sie, ohne dass es ihr bewusst ist, auf eine unwiderstehliche Versuchung. Zufällige Affären interessieren sie nicht im Geringsten. Wenn es so weit ist, kann man nur hoffen, dass es nicht wieder ein Lackl sein wird.«
»Ich glaube, sie ähnelt wirklich meiner Mutter«, sagte ich, »und bei ihr waren es immer Lackl.«
»Arme Hopse!«, seufzte Davey, »aber jetzt ist sie doch glücklich, mit ihrem weißen Jäger, oder?«
Wie zu erwarten war, entwickelte sich Tony bald zu einem wahren Ausbund an Aufgeblasenheit und wurde seinem Vater von Tag zu Tag ähnlicher. Er sprühte nur so von großen, scharfsichtigen Ideen, wie sich das Los der Kapitalistenklasse verbessern ließe, und machte keinen Hehl aus seinem Hass und seinem Misstrauen gegen die Arbeiter.
»Ich hasse die Unterklasse«, erklärte er eines Tages, als Linda und ich zusammen mit ihm auf der Terrasse des Unterhauses beim Tee saßen. »Rasende Tiere, die versuchen, mir mein Geld wegzunehmen. Sollen sie’s versuchen, wir werden ja sehen!«
»Ach, sei doch still, Tony«, sagte Linda, indem sie eine Haselmaus aus der Tasche zog und sie mit Krümeln zu füttern begann. »Trotz allem liebe ich diese Leute, ich bin zusammen mit ihnen aufgewachsen. Dein Problem besteht darin, dass du die Unterklasse überhaupt nicht kennst, und zur Oberklasse gehörst du ebenso wenig, du bist bloß ein reicher Ausländer, den es zufällig hierher verschlagen hat. Eigentlich sollte niemand im Parlament sitzen, der nicht auf dem Land gelebt hat, wenigstens eine Zeit lang – mein alter Pa weiß besser als du, wovon er
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