Englische Liebschaften (Nancy Mitford - Meisterwerke neu aufgelegt) (German Edition)
Seine Kleidung war grässlich – er trug eine Flanellhose, die wirklich alt war und an den peinlichsten Stellen viele kleine Mottenlöcher aufwies, keinen Mantel und ein Flanellhemd, bei dem ein Ärmel von der Manschette bis zum Ellenbogen aufgerissen war.
»Hat Ihr Vater in letzter Zeit etwas geschrieben?«, fragte Lady Kroesig, als sie sich zu Tisch setzten.
»Vermutlich«, meinte Christian, »es ist ja sein Beruf. Nicht, dass ich ihn gefragt hätte, aber man kann es wohl annehmen, genauso, wie man annehmen kann, dass Tony in letzter Zeit ein paar Geschäfte gemacht hat.«
Dann stützte er seinen durch den Riss im Hemd entblößten Ellbogen zwischen sich und Lady Kroesig auf den Tisch, wendete sich zu Linda hinüber, die auf der anderen Seite neben ihm saß, und erzählte ihr ausführlich und in allen Einzelheiten von einer Hamlet -Aufführung, die er kürzlich in Moskau gesehen hatte. Die kulturbeflissenen Kroesigs spitzten die Ohren und warfen gelegentlich eine Bemerkung ein – »Meiner Vorstellung von Ophelia entspricht das allerdings nicht ganz«, oder: »Aber Polonius war doch ein sehr alter Mann«; damit wollten sie zeigen, dass sie sich in Hamlet auskannten, aber sie stießen bei Christian auf taube Ohren, der, den einen Arm auf den Tisch gestemmt, mit der anderen Hand sein Essen verschlang und mit den Augen Linda.
Nach dem Luncheon sagte er zu ihr: »Kommen Sie doch zum Tee mit zu meinem Vater, er wird Ihnen gefallen«, und schon machten sie sich zusammen auf den Weg, während sich die Kroesigs für den Rest des Nachmittags aufführten wie ein Schwarm Hühner, die den Fuchs gesehen haben.
Sir Leicester führte mich zu seinem Teich, der von gewaltigen rosa Vergissmeinnicht und dunkelbraunen Schwertlilien umstanden war, und sagte: »Das ist wirklich sehr hässlich von Linda, die kleine Moira hatte sich so darauf gefreut, ihr die Ponys zu zeigen. Dieses Kind vergöttert seine Mutter.«
Das tat es nicht im Geringsten. Es liebte Tony und verhielt sich Linda gegenüber ziemlich gleichgültig und stur, und jemanden zu vergöttern, dazu neigte es schon gar nicht, aber für die Kroesigs war es ein Glaubensartikel, dass Kinder ihre Mütter vergöttern sollten.
»Kennen Sie Pixie Townsend?«, fragte er mich unvermittelt.
»Nein«, antwortete ich wahrheitsgemäß, ich hatte nie von ihr gehört. »Wer ist das?«
»Eine ganz entzückende Person.« Er wechselte das Thema.
Linda kam gerade rechtzeitig zurück, um sich für das Dinner anzukleiden, und sah wunderschön aus. Sie lud mich in ihr Zimmer ein, um zu plaudern, während sie ihr Bad nahm – Tony war oben im Kinderschlafzimmer und las Moira etwas vor. Der Ausflug hatte Linda ganz verzaubert. Christians Vater, so erzählte sie, wohnte in dem kleinsten Haus, das man sich vorstellen kann, ein vollkommener Kontrast zum Kroesig-Hof, wie Christian ihn nannte, denn obwohl es wirklich winzig war, hatte es nichts von einem Landhaus an sich – es war im großen Stil eingerichtet und vollgestopft mit Büchern. Kein Fleckchen Wand war frei geblieben, sie türmten sich auf Tischen und Stühlen und lagen in großen Stapeln auf dem Fußboden. Mr. Talbot war das genaue Gegenteil von Sir Leicester, er hatte nichts Pittoreskes an sich und nichts, was ihn als Gelehrten erkennbar machte, er war munter und sachlich, und über Davey, den er gut kannte, hatte er ein paar sehr witzige Bemerkungen gemacht.
»Er ist einfach himmlisch«, sagte Linda immer wieder, und dabei leuchteten ihre Augen. Ich erkannte sofort, dass sie eigentlich sagen wollte, Christian sei himmlisch. Sie war von ihm wie geblendet. Anscheinend hatte er ohne Unterlass geredet, und alle seine Reden waren nur Variationen über ein einziges Thema gewesen – die Verbesserung der Welt durch politische Veränderungen. Seit ihrer Hochzeit hatte Linda bei Tony und seinen Freunden endlose politische Fachsimpeleien mit anhören müssen, aber deren Politik drehte sich ausschließlich um Posten und Personen. Da ihr die Personen allesamt unendlich alt und langweilig erschienen und da es ihr völlig gleichgültig war, ob sie ihre Posten bekamen oder nicht, hatte Linda die Politik unter die nichtssagenden Themen eingereiht und entschwebte für gewöhnlich in einen Traum, wenn sie zur Sprache kam. Aber Christians Politik langweilte sie nicht. An diesem Abend, auf dem Rückweg vom Haus seines Vaters zu den Kroesigs, hatte er sie auf eine Weltreise mitgenommen. Er zeigte ihr den Faschismus in Italien, den Nazismus in
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