Englische Liebschaften (Nancy Mitford - Meisterwerke neu aufgelegt) (German Edition)
Wahrheit in alledem. Der Bekanntenkreis der Kroesigs war nämlich so unbeschreiblich langweilig, dass die arme Linda einfach keinen Zugang zu diesen Leuten fand. Sie hatte den Kampf schließlich aufgegeben und sich in die angenehmere Gesellschaft von Apportierhunden und Haselmäusen zurückgezogen.
Als Lord Merlin nach ihrer Heirat zum ersten Mal wieder in London war, führte er sie sofort in seine Welt ein, in jene Welt, nach der Linda sich immer gesehnt hatte, in die Welt der schicken Boheme; und hier bekam sie sogleich Boden unter die Füße, fühlte sich vollkommen glücklich und hatte auf der Stelle großen Erfolg. Sie wurde sehr munter und ging überallhin. Von den vielen Elementen, aus denen die Londoner Gesellschaft besteht, ist keines so beliebt wie die junge, hübsche, aber absolut ehrbare Frau, die man ohne ihren Mann zum Dinner einladen kann, und schon bald begann die neue Umgebung Linda den Kopf zu verdrehen. Fotografen und Klatschkolumnisten hefteten sich an ihre Fersen, und der Eindruck, dass sie selbst schon etwas von einer Klatschbase angenommen habe, verflüchtigte sich erst, wenn man sich eine halbe Stunde mit ihr unterhielt. Von morgens bis abends wimmelte ihr Haus von schwatzenden Leuten. Linda, die gern plauderte, fand viele verwandte Geister in dem sorglosen, vergnügungssüchtigen London jener Tage, als die Arbeitslosigkeit in den oberen Klassen genauso verbreitet war wie in den unteren. Junge Männer, die von ihren Familien finanziell abgesichert wurden – auch wenn man ihnen hin und wieder ohne großen Nachdruck zu verstehen gab, es wäre gut, irgendeinen Beruf zu ergreifen (aber ohne dann bei der Suche behilflich zu sein, und was für einen Beruf hätten denn Leute ihres Schlages auch ergreifen sollen?) –, umschwärmten Linda wie die Bienen den Honig, summ, summ, summ, schwatz, schwatz, schwatz. In ihrem Schlafzimmer auf dem Bett oder draußen auf der Treppe hockend, während sie ein Bad nahm, in der Küche, während sie die Lebensmittel bestellte, beim Einkaufen, beim Spaziergang im Park, im Kino, im Theater, in der Oper, im Ballett, beim Dinner und beim Supper, in Nachtklubs, auf Partys, auf Bällen den ganzen Tag und die ganze Nacht – endloses, unendliches Geplauder.
»Aber worüber reden sie denn bloß?«, fragte Tante Sadie immer wieder missbilligend. Ja, worüber eigentlich?
Tony begab sich frühmorgens in seine Bank, eilte mit gewichtiger Miene aus dem Haus, in einer Hand den Aktenkoffer, unter dem Arm einen Stoß Zeitungen. Sein Abgang war das Zeichen für den Auftritt der Plauderer, als hätten sie hinter einer Straßenecke darauf gewartet, und nun schwärmten sie ins Haus. Sehr nett waren sie, sehr gut sahen sie aus, immer waren sie fröhlich und besaßen vollkommene Manieren. Zwar konnte ich sie bei meinen kurzen Besuchen nie recht auseinanderhalten, aber ich verstand, was sie so attraktiv machte – die nie versagende Anziehungskraft der Vitalität und der guten Laune. Aber »wichtig« hätte man diese Leute beim besten Willen nicht nennen können, und die Kroesigs waren über diese neue Wendung der Dinge außer sich.
Tony schien sich nichts daraus zu machen; was seine Karriere anging, so hatte er Linda längst abgeschrieben und fühlte sich durch den öffentlichen Rummel, der sie nun als Schönheit lancierte, eher belustigt und geschmeichelt. »Die schöne Frau eines klugen jungen Parlamentsabgeordneten.« Außerdem stellte er fest, dass sie beide zu großen Partys und Bällen eingeladen wurden, die er gern noch besuchte, wenn er spät aus dem Unterhaus kam, und auf denen er oft nicht nur die unwichtigen Freunde traf, mit denen Linda sich amüsierte, sondern auch eigene, keineswegs unwichtige Kollegen, die er dann an der Bar festnageln und mit seinen Geschichten anöden konnte. Aber es wäre zwecklos gewesen, dies den alten Kroesigs zu erklären, die ein tief verwurzeltes Misstrauen gegen die Schickeria, gegen Tanzen und überhaupt gegen jede Art von Belustigung hegten – das alles führte ihrer Ansicht nach zur Ausschweifung, der keinerlei materieller Nutzen gegenüberstand. Zum Glück für Linda stand sich Tony wegen einer Meinungsverschiedenheit in Fragen der Geschäftspolitik der Bank gerade nicht sonderlich gut mit seinem Vater; sie waren nicht so häufig in Hyde Park Gardens zu Gast wie in der ersten Zeit ihrer Ehe, und die Besuche in Planes, in dem Haus, das die Kroesigs in Surrey besaßen, waren fürs Erste abgeblasen. Wenn sie sich aber doch einmal
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