Englische Liebschaften (Nancy Mitford - Meisterwerke neu aufgelegt) (German Edition)
ich der Schwester Oberin sagen, dass Sie hier sind.«
Und so dauerte es fast eine Stunde, bis ich Davey aus dieser Klinik loseisen konnte. Hoffentlich erwecke ich nicht den Eindruck, als sei Daveys ganzes Leben nur um seine Gesundheit gekreist. Die Arbeit, das Schreiben und die Herausgabe einer literarischen Zeitschrift, füllte ihn ganz aus, aber die Gesundheit war sein Steckenpferd und trat deshalb in seiner Freizeit, in der ich ihn meist zu Gesicht bekam, stärker in den Vordergrund. Und wie viel Spaß es ihm bereitete! Er schien seinen Körper mit jenem teilnahmsvollen Interesse zu betrachten, mit dem ein Bauer sein Schwein ansieht – nicht das gut gedeihende Tier, sondern das zurückgebliebene, das dem Hof am Ende ebenfalls zur Ehre gereichen soll. Er wiegt es, lässt es in Luft und Sonne baden, trainiert es und verabreicht ihm besondere Diäten, Reformkost und neuartige Arzneien, doch alles vergebens. Nie nimmt es auch nur ein Gramm zu und gereicht dem Hof nicht zur Ehre, aber es lebt, es genießt gute Dinge, es genießt das Leben, wenngleich es jenen Gebrechen, die zum leiblichen Erbe seiner Gattung gehören, ebenso zum Opfer fällt wie anderen, eingebildeten Leiden, die es dank der unverbrüchlichen Pflege und konzentrierten Aufmerksamkeit des guten Bauern und seiner Frau wohlbehalten übersteht.
Als ich Tante Emily von Linda und der armen Moira erzählte, sagte sie sofort: »Sie ist zu jung. Ich glaube, sehr junge Mütter gehen nie ganz in ihren Kindern auf. Wenn Frauen älter werden, fangen sie an, ihre Kinder anzubeten, aber vielleicht ist es für die Kinder besser, wenn sie junge Mütter haben, die sie nicht anbeten und ihnen ein ungebundeneres Leben lassen.«
»Aber Linda verabscheut ihr Kind geradezu.«
»Das sieht ihr ähnlich«, sagte Davey. »Sie muss immer alles übertreiben.«
»Aber sie wirkte so schwermütig. Du musst zugeben, das sieht ihr überhaupt nicht ähnlich.«
»Sie hat es sehr schwer gehabt«, meinte Tante Emily. »Sadie war ganz verzweifelt. Zweimal haben sie gedacht, sie würde sterben.«
»Sprich nicht davon«, sagte Davey. »Ich kann mir die Welt ohne Linda gar nicht vorstellen.«
11
Mit meinem Mann und meiner jungen Familie, die mich sehr in Anspruch nahmen, wohnte ich damals in Oxford und sah Linda deshalb während der nächsten Jahre seltener als zu irgendeiner anderen Zeit meines Lebens. Das beeinträchtigte jedoch nicht die Vertrautheit unseres Umgangs, die ganz ungebrochen blieb, und wenn wir uns trafen, war es immer so, als sähen wir uns alle zwei Tage. Von Zeit zu Zeit war ich bei ihr in London oder sie bei mir in Oxford zu Gast, und regelmäßig wechselten wir Briefe. Aber über ein Thema sprach sie in dieser Zeit nie mit mir: über die Verkümmerung ihrer Ehe; es war auch nicht nötig, denn wie es um die Beziehung der beiden stand, hätte gar nicht offenkundiger sein können. Tony war anscheinend kein so guter Liebhaber, auch anfangs nicht, dass er dadurch seine anderen Mängel, die Langeweile, die er verbreitete, die Mittelmäßigkeit seines Charakters, wettzumachen vermocht hätte. Um die Zeit, als das Kind zur Welt kam, liebte Linda ihn nicht mehr, und nachher vermochte sie weder für ihn noch für das Kind irgendwelche Gefühle aufzubringen. Der gut aussehende, fröhliche, geistreiche, selbstbewusste junge Mann, in den sie sich verliebt hatte, war bei näherer Bekanntschaft zerschmolzen und erwies sich als ein Trugbild, das stets nur in ihrer Fantasie existiert hatte. Linda beging nicht den verbreiteten Irrtum, Tony die Schuld an dem zu geben, was ganz und gar ihr Fehler gewesen war – sie wandte sich bloß in völliger Gleichgültigkeit von ihm ab. Erleichtert wurde ihr dies dadurch, dass sie ihn so selten sah.
Jetzt ließ Lord Merlin einen kolossalen Streich gegen die Kroesigs vom Stapel. Die hatten sich immerfort beklagt, nie gehe Linda aus, nie empfange sie Gäste, außer wenn es sich gar nicht vermeiden ließ, und nehme keinen Anteil an der Gesellschaft. Ihren Freunden erzählten sie, Linda sei eben ein Mädchen vom Lande, habe nur die Jagd im Kopf, und wenn man in ihr Zimmer trete, könne man sie dabei überraschen, wie sie einen Apportierhund abrichte – die toten Kaninchen seien hinter den Sofakissen versteckt. Sie stellten sie als liebenswürdige, begriffsstutzige, hübsche Provinzpomeranze hin, die nicht imstande sei, den armen Tony zu unterstützen, der sich seinen Weg durchs Leben nun ganz allein bahnen müsse. Es steckte ein Körnchen
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