Englische Liebschaften (Nancy Mitford - Meisterwerke neu aufgelegt) (German Edition)
hier haben und gleich anfangen.«
»Pass auf«, erklärte Randolph, »ich zeige es dir. (Was für ein köstliches Parfüm, Après l’Ondée? Ich dachte es mir.) Also hier ist ein Plan des Schiffes – hier die besten Kabinen, dort die weniger guten Kabinen, dort die miserablen Kabinen und der Stauraum unter den Luken. Und hier ist eine Liste der Familien, die mitfahren. Du brauchst jetzt nur jeder Familie eine Kabine zuzuweisen – wenn du entschieden hast, welche sie bekommen sollen, schreibst du die Nummer der Kabine neben den Familiennamen – hier, siehst du? Und die Nummer der Familie auf die Kabine, so. Ganz einfach, aber es dauert seine Zeit, und es muss gemacht werden, damit sie wissen, wohin sie mit ihrem Gepäck gehen sollen, wenn sie an Bord kommen.«
»Aber wie soll ich entscheiden, wer die guten bekommt und wer im Laderaum verstaut wird? Ziemlich verzwickt, oder?«
»Eigentlich nicht. Die Sache ist die, es ist ein streng demokratisches Schiff, das nach republikanischen Grundsätzen organisiert wird, Klassen gibt es dort nicht. Ich würde die anständigen Kabinen Familien mit kleinen Kindern und Säuglingen geben. Alles andere kannst du machen, wie du es für richtig hältst. Mach die Augen zu, und tippe auf irgendeinen Namen, wenn du willst. Es muss nur gemacht werden, sonst gibt es eine wüste Rauferei um die besten Plätze, wenn sie an Bord gehen.«
Linda sah sich die Liste der Familien an. Es war eine Kartei, für jedes Familienoberhaupt gab es eine Karte, auf der die Zahl und die Namen der Angehörigen eingetragen waren.
»Das Alter ist gar nicht angegeben. Woher soll ich da wissen, ob sie Kleinkinder oder Säuglinge haben?«
»Berechtigte Frage«, meinte Robert.
»Ganz einfach«, erklärte Christian. »Bei Spaniern lässt es sich immer sagen. Vor dem Krieg nannten sie ihre Kinder entweder nach Heiligen oder nach Episoden aus dem Leben der Heiligen Jungfrau – Anunciación, Asunción, Purificación, Concepción, Consuelo und so weiter. Seit dem Bürgerkrieg heißen sie Carlos nach Charlie Marx, Federigo nach Freddie Engels oder Estalina nach Stalin (war sehr beliebt, bis die Russen sie plötzlich hängen ließen), oder nach ein paar netten Schlagworten wie Solidaridad-Obrera, Libertad und so weiter. Dann weißt du genau, dass die Kinder noch keine drei Jahre alt sind. Einfacher geht’s nicht, wirklich.«
In diesem Augenblick erschien Lavender Davis. Es war ganz die alte Lavender, ohne Schick, gesund und unansehnlich, in einem Tweedkleid aus der englischen Provinz und mit unförmigen Straßenschuhen an den Füßen. Ihr kurzes braunes Haar war leicht gekräuselt, und sie war ohne Make-up. Sie begrüßte Linda voller Begeisterung; die Davis hatten sich immer der Täuschung hingegeben, Lavender und Linda seien dick miteinander befreundet. Linda freute sich, sie zu sehen, so wie man sich eben freut, wenn man im Ausland ein bekanntes Gesicht sieht.
»Kommt«, sagte Randolph, »da wir schon alle beisammen sind, wollen wir im Palmarium etwas trinken.« Während der nächsten Wochen, bis das eigene Privatleben wieder ihre Aufmerksamkeit zu beanspruchen begann, lebte Linda in einer Atmosphäre, in der Erstaunen und Erschrecken einander ständig abwechselten. Sie fing an, Perpignan zu lieben, dieses fremdartige alte Städtchen, das so anders war als alle, die sie schon kannte, mit seinem Fluss und den breiten Kais, seinem Gewirr enger Straßen, den riesigen, urwüchsigen Platanen, und ringsum das eintönige Weinland des Roussillon, das vor ihren Augen in sommerliches Grün ausbrach. Der Frühling war spät und nur zögernd gekommen, aber als er da war, folgte ihm der Sommer auf dem Fuße, und mit einem Schlag kam die Hitze. Jeden Abend tanzten die Menschen in den Dörfern unter den Platanen auf Tanzflächen aus Beton. An den Wochenenden machten die Engländer ihr Büro zu – eine tief verwurzelte nationale Gewohnheit, die sich nicht ausmerzen ließ – und fuhren zum Baden oder, um sich zu sonnen, an die Küste nach Collioure, oder sie unternahmen Ausflüge in die Pyrenäen.
Aber mit dem Grund für ihre Anwesenheit in dieser bezaubernden Gegend, mit den Lagern, hatte das alles nichts zu tun. Linda ging fast jeden Tag in die Lager, und sie erfüllten ihre Seele mit Verzweiflung. Da sie in Ermangelung spanischer Sprachkenntnisse im Büro nicht viel helfen konnte und auch bei den Kindern nicht, weil sie nichts von Kalorien verstand, setzte man sie als Fahrerin ein, und nun war sie ständig mit einem
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