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Englische Liebschaften (Nancy Mitford - Meisterwerke neu aufgelegt) (German Edition)

Englische Liebschaften (Nancy Mitford - Meisterwerke neu aufgelegt) (German Edition)

Titel: Englische Liebschaften (Nancy Mitford - Meisterwerke neu aufgelegt) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Mitford
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Berichte, Memoranden, Zeitungsartikel und private Briefe über die Lebensbedingungen, die er in den Lagern vorfand, und machte sich dann an die Arbeit – in einem Büro, das von verschiedenen humanitär gesinnten Engländern finanziert wurde und die Aufgabe hatte, die Situation in den Lagern zu verbessern, die Flüchtlingsfamilien wieder zusammenzuführen und so viele wie möglich aus Frankreich herauszubringen. Geleitet wurde das Büro von einem jungen Mann namens Robert Parker, der viele Jahre in Spanien gelebt hatte. Sobald klar wurde, dass eine Typhusepidemie, die man zunächst befürchtet hatte, nicht zu erwarten war, schrieb Christian an Linda, sie möge zu ihm nach Perpignan kommen.
    Es verhielt sich nun so, dass Linda in ihrem ganzen Leben noch nie im Ausland gewesen war. Tony hatte alles, was er zu seinem Vergnügen brauchte – Jagen, Schießen, Golf –, in England gefunden und war immer dagegen gewesen, zusätzliche Ferientage mit unnötigem Herumreisen zu verschwenden; und den Radletts wäre es nie in den Sinn gekommen, den Kontinent zu besuchen, es sei denn, um zu kämpfen. Aus den vier Jahren, die Onkel Matthew zwischen 1914 und 1918 in Frankreich und Italien verbrachte, hatte er keinen günstigen Eindruck von den Ausländern mit nach Hause gebracht.
    »Frogs«, so sagte er, »sind zwar etwas besser als Hunnen oder Wops, aber im Ausland ist es einfach grauenhaft, Ausländer sind Teufel.«
    Die Grauenhaftigkeit des Auslands und der teuflische Charakter der Ausländer waren als Glaubensartikel in den Anschauungen der Radletts so fest verankert, dass Linda sich nicht ohne Beklommenheit auf ihre Reise begab. Als ich mich auf der Victoria Station von ihr verabschiedete, wirkte sie außerordentlich englisch in ihrem langen, hellen Nerz, den Tatler unter den Arm geklemmt und Lord Merlins Reisenecessaire aus Saffianleder unter einem Leinenüberzug in der Hand.
    »Ich hoffe, du hast deinen Schmuck auf die Bank gebracht«, sagte ich.
    »Oh, Liebling, mach keine Witze, du weißt doch, dass ich gar keinen mehr besitze. Aber mein Geld«, fuhr sie mit leicht verlegenem Kichern fort, »ist in mein Korsett eingenäht. Pa rief an und bat mich inständig darum, und ich muss sagen, ich fand die Idee gut. Ach, warum kommst du nicht mit? Ich bin so ängstlich – stell dir vor, in einem Zug schlafen, und ganz allein.«
    »Vielleicht bist du gar nicht allein«, sagte ich, »soviel ich weiß, sind alle Ausländer nur darauf aus, Frauen zu vergewaltigen.«
    »Das könnte ja ganz nett sein – solange sie mein Korsett nicht finden. Oh, wir fahren ja schon – auf Wiedersehen, Liebling, denk an mich!«, rief sie noch, ballte ihre in einem Velourslederhandschuh steckende Faust und streckte sie zum kommunistischen Gruß aus dem Wagenfenster.
    Ich muss erklären, warum ich über das, was Linda nun widerfuhr, so genau Bescheid weiß, obwohl ich sie ein ganzes Jahr lang nicht zu Gesicht bekam. Aber wie man noch sehen wird, waren wir danach lange beisammen und hatten sehr viel Zeit; damals erzählte sie mir alles, immer wieder. Es war ihre Art, das Glück noch einmal lebendig werden zu lassen.
    Natürlich war die Reise für sie das reinste Vergnügen. Die Kofferträger in ihren blauen Kitteln, die lauten, schrillen Unterhaltungen, von denen sie kein Wort verstand, obwohl sie glaubte, Französisch einigermaßen zu beherrschen, die stickige, knoblauchgeschwängerte Hitze in dem französischen Zug, das köstliche Essen, zu dem sie von einer vorüberhastenden kleinen Glocke gerufen wurde, alles war wie aus einer anderen Welt, wie ein Traum.
    Sie sah aus dem Fenster und erblickte Schlösser und Lindenalleen, Teiche und Dörfer, genau wie die in der Bibliothèque Rose – jeden Moment erwartete sie, Sophie zu sehen, in ihrem weißen Kleid, mit den unnatürlich kleinen schwarzen Pumps an den Füßen und lauter Unsinn im Kopf, wie sie sich das frische Brot und die Sahne schmecken lässt oder ihrem gutmütigen Paul den Kopf krault. Lindas sehr gestelztes, sehr englisches Französisch brachte sie ohne Schwierigkeiten quer durch Paris in den Zug nach Perpignan. Paris. Sie sah aus dem Zugfenster die hell erleuchteten Straßen in der Dämmerung und dachte, dass keine andere Stadt je so beklemmend schön sein könne.
    Ein seltsamer, verirrter Gedanke schoss ihr durch den Kopf: Eines Tages würde sie hierher zurückkehren und sehr glücklich sein; dabei wusste sie, dass dies nicht sehr wahrscheinlich war, Christian würde niemals in Paris leben

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